Die kalten und nassen Tage, die mich in Österreich noch daran zweifeln ließen, ob mein Vorhaben wirklich so umsetzbar sei, waren nun vorbei. Mit Begleitung an meiner Seite und einem gelegentlichen Bett in privaten Wohnungen mit Duschmöglichkeit verging die Zeit in Ungarn wirklich schnell. Am ersten Abend waren wir in Győr bei zwei netten Ungarn untergekommen, die uns direkt in die ungarischen Bräuche mit Schnaps und Wein einführten. Während uns der Host seine Kunststücke an der Wasserpfeife zeigte, machte uns seine Freundin klar, dass man nur zweimal im Jahr Alkohol trinken würde. Das eine Mal, wenn man Geburtstag hat, das andere Mal wenn man keinen Geburtstag hat. Das klang für mich absolut logisch und durchdacht und es war echt schwer gegen eine der Regeln zu verstoßen.
Gut gestärkt mussten wir am nächsten Morgen die Wohnung aber schon sehr früh verlassen, da der Alltag auf uns und unsere Hosts wartete. Arbeit, Arbeit, Arbeit. Für mich war Ungarn immer ein Land gewesen, in dem alles ein wenig langsamer und stressfreier vor sich hinzuschreiten schien, für die Ungarn war es das nicht. Der Alltag bestand aus viel arbeiten und gelegentlich mal die Familie im 50km entfernten Dorf zu besuchen.
Die Strecke an der Donau war wirklich gut ausgebaut und leicht zu finden, die Sonne zeigte sich von ihrer warmen Seite und die Stunden verstrichen. Erst am Mittag änderte sich die Stimmung, als sich große Hügel vor uns auftürmten. Fast 30 Minuten dauerte der Anstieg, der selbst im leichtesten Gang mit Tunnelblick nicht zu Enden schien. Doch ich sah diese erste wirklich bergige Etappe als Training für kommende Tage im Balkan in Bulgarien oder die Türkei an und wurde dann endlich am Nachmittag mit einem grandiosen Ausblick belohnt. Auf der anderen Seite kamen wir wieder zur Donau zurück und fuhren nun ein ganzes Stück an der slowakisch-ungarischen Grenze entlang.
Ganze zwei Tage dauerte es, bis wir endlich Budapest erreichten. Ein merkwürdiges Bild tauchte vor unseren Augen auf, da sich der Donauradweg nun in irgendeinen Pfad verwandelt hatte und nichts mehr von gut ausgebauten Straßen oder Beschilderungen zu sehen war. Dementsprechend ließen wir uns vom Strom treiben und waren ganz entspannt, dass wir die Innenstadt leicht finden würden. Ich kann nicht genau sagen, wie wir es gemacht hatten, aber irgendwann fuhren wir um eine Ecke und blickten auf die Donau und das prachtvolle Parlamentsgebäude. Die Sonne war schon am Untergehen und ich war mir nicht sicher, ob wir überhaupt noch die Adresse fürs Couchsurfing finden würden, da eine Stadt mit ca. 2 Millionen Einwohnern wohl auch viele Straßen haben muss.
Als ich einen Mann nach einem Info-Point fragte und er mir nicht antworten konnte, zeigte ich ihm die Adresse und er konnte doch tatsächlich etwas damit anfangen. Es handelte sich um einen belebten Platz direkt in der Innenstadt, also genau dort, wo das Leben stattfand und die Sehenswürdigkeiten standen. Zwei Türken aus Kurdistan holten uns ab und brachten uns in den Altbau und in ihre WG. Da am nächsten Abend eine große kurdische Feier war, die sie organisieren mussten, hatten sie leider kaum Zeit für uns. Wir hatten nun eine Wohnung mitten in der Innenstadt nur für uns zwei alleine und zwei Nächte Zeit, die Stadt zu erkunden und Erledigungen zu machen.
Nur hin und wieder kam ein neues Gesicht in die Wohnung hinein, es wurde sich kurz die Hand geschüttelt und „Hello“ gesagt und schon war es wieder verschwunden. So lernte ich immerhin noch zwei Kurden aus Syrien und dem Irak kennen. Trotz der kurzen gemeinsamen Zeit hatte ich zum Glück noch die Gelegenheit zwei intensive Gespräche mit zwei der Kurden zu führen, die mich mehr in ihre Kultur und die ganze Kurden-Problematik einführten. Einer von beiden musste z.B. 6,5 Monate ins Gefängnis, weil er Bücher auf Kurdisch besaß und wurde im Anschluss daran aus der Türkei geworfen, in die er nun nie wieder zurück darf.
Am Morgen an dem wir eigentlich aufbrechen wollten, kam dann noch einer der beiden Kurden ganz früh in die Wohnung und machte uns ein Frühstück. Er entschuldigte sich, dass er nur so wenig Zeit hatte und lud uns für später erneut nach Budapest ein. Wir jedoch hatten diese Freiheit sehr genossen und uns keineswegs vernachlässigt gefühlt, während er gegen die Regeln eines guten Gastgebers nach seiner Kultur verstoßen hatte. Das merkte man ihm deutlich an, obwohl ich versuchte ihm diese Schuldgefühle auszureden.
Das Verlassen Budapests war leichter als das Hereinkommen. Die Radwege waren immer noch sehr schlecht und sollten sich erst wieder am zweiten Tag in Südungarn bessern und teilweise zu Deluxe-Wegen werden. Es ging nun nur noch Richtung Süden und wir erhielten eine Zusage aus Baja, das wir dort eine Nacht verbringen konnten. Darüber war ich sehr beruhigt, da in der Nacht davor, nachdem wir das Zelt aufgebaut hatten und wir gerade am Essen waren ein Auto an unserem versteckten Platz vorbeifuhr. Wir aßen weiter, aber ich fühlte mich beobachtet und schaute mich um. Dort stand noch halb verdeckt das grüne Auto, es hatte gewendet und angehalten und beobachtete uns. Wir entschieden uns dazu erstmal nichts zu machen und abzuwarten. Nach ca. fünf Minuten fuhr das Auto die gleiche Strecke erneut an uns vorbei und blieb 100 Meter entfernt wieder stehen und beobachtete uns weiter. Das war mir nun zu viel und mein entspanntes Gefühl war zum ersten Mal zu einem Unwohlsein gewichen. In dieser Nacht drückte ich kaum noch ein Auge zu, hatte einen sehr unruhigen Schlaf und so brachen wir am Morgen schon um 7.00 Uhr auf, nachdem wir unser Zelt zusammengepackt hatten und die Räder startklar waren. Tatsächlich war nichts passiert und niemand kam mehr vorbei, aber diese ganze Situation hatte mich zu stark an Hitchcocks Film „Duell“ erinnert.