Türkei, Teil 1: 16.04. – 21.04.2014

Schon von weitem konnten wir die türkische Flagge sehen ohne uns in der Türkei zu befinden. Wer nun denkt, dass die Grenze hier genau so leer und einfach ist wie die EU-Außengrenze nach Serbien, der irrt sich gewaltig. Schon Kilometer vor der Grenze stauen sich die LKW und es bilden sich richtige Städte mit Einkaufsläden und Restaurants, um die müden Truckfahrer mit dem Wichtigsten zu versorgen. Für uns als Fahrradfahrer gibt es hier noch ein letztes Mal die Möglichkeit das letzte bulgarische Geld auszugeben, bevor es erneut in ein neues Land geht. Da die Hauptverkehrsader von Bulgarien nach Edirne führt, ist die Grenze entsprechend groß angelegt. Doch für uns kleine Fahrradfahrer stellt sich nicht die Frage nach dem Weg, der führt immer nur geradeaus zur nächsten Schranke und Passkontrolle, sondern die Frage, wann wir endlich in der Türkei sind. Selbst nach dreimaligem Vorzeigen unserer Ausweise und dem Versprechen, dass wir keine Drogen mit uns führen, befinden wir uns immer noch irgendwo im Niemandsland zwischen Bulgarien und der Türkei. Während die bulgarischen Beamten eher wortkarg nach den Pässen fragen, darf man, wenn man nun endlich an der türkischen Seite angekommen ist, auch ein kurzes Schwätzchen mit den türkischen Grenzbeamten halten. Wo kommt ihr her und wo geht es hin, ja natürlich ist die Türkei ein schönes Land. Das sich nun die Kultur stark verändert wird deutlich, wenn man der Straße folgt und endlich an der Moschee vorbeifahren darf, die man schon von Bulgarien aus gesehen hat. Ansonsten ist alles beim Alten, das Wetter doch nicht so sonnig, wie in meinen Erinnerungen an Istanbul vor zwei Jahren. Das liegt vielleicht daran, dass ich nun im April und nicht im Hochsommer-Monat Juli ins Land gekommen bin. Direkt nach der Grenze stoppen wir erstmal, aber nicht zum Übernachten, sondern um endlich Mittag essen zu können. Wir hocken uns auf eine Wiese und merken erst zu spät, dass wir langsam von 4 verschiedenen Schäfergrüppchen eingekreist und umrundet werden. Die Schafe kommen immer näher und die Erinnerungen an die aggressiven südost-europäischen Wachhunde kommen wieder ins Gedächtnis. Die Nudeln brauchen aber noch ein paar Minuten und der Abstand ist nun soweit verkürzt, dass wir uns bedrängt fühlen. Schließlich ist es soweit und die Hunde nehmen neben uns Platz, beschnuppern unser Essen und beäugen uns genau. Sie bleiben aber friedlich, wir gehören wohl genau dort hin und sind keine Eindringlinge in diesem neuen Land.

Mit diesem Gefühl machen wir uns auf den Weg nach Edirne und sind froh über die gute Straße, die uns direkt dorthin führt.

Zusammen mit unserem Host essen wir in einem kleinen Restaurant auch das erste Mal gutes türkisches Essen. Iskender Kebap, köstliches Lammfleisch, das mit Fladenbrot, Joghurt, Paprika, Tomaten und geschmolzener Butter serviert wird und zum Nachtisch süßen Künefe.

Am nächsten Tag machten wir uns nun auf den Weg nach Lüleburgaz, doch Olivers Fahrrad zickt mal wieder herum. Die Achsenschraube kann nicht mehr festgezogen werden, da Oliver sie kaputtgedreht hat. Mit vielen Unterbrechungen und einem ständigen Auf und Ab der Straße, das bis nach Istanbul nicht aufhören sollte, erreichen wir am frühen Abend die Stadt und stoppen bei einem Motorbike-Shop. Hier sollen wir nun auch direkt kennenlernen, was es bedeutet mit einem Problem zu einem Türken zu kommen. Die 2 Arbeiter, die zunächst vor Ort waren, vermehren sich minütlich und keine Viertelstunde später stehen 15 beratende, wild gestikulierende Türken um uns herum. Wir deuten auf die kaputte Schraube und bauen sie schließlich mit entsprechendem Werkzeug aus. Da natürlich an diesem Ort kein Ersatz vorhanden ist, fährt einer der Türken los, um irgendwo nach dieser Schraube zu suchen. Doch als auch das nichts half, fahren Oliver und einer der Türken zum Bike-Shop und kaufen eine neue Schnellspannerschraube, die aber nicht passte. Nun wird improvisiert und ein Schlitz in die alte Schraube geschweißt und siehe da, das Problem ist gelöst.

Einer der Türken, selbst Fahrradfahrer und in unserem Alter erscheint am Ende und spricht mit uns Englisch. Er erzählt uns, dass einer der Türken ihn angerufen hatte, dass zwei Fahrradfahrer Probleme hätten und Hilfe bräuchten. Wir verbringen nun den darauffolgenden Abend mit ihm und er bietet uns seine Hilfe an, wenn auf der Strecke nach Istanbul bzw. in der Stadt irgendwelche Probleme auftauchen sollten. Wegen des schlechten Wetters bleiben wir für zwei Nächte bei unserem Host in Lüleburgaz und nutzen die Gelegenheit, um weitere Planungen zu machen, bevor es am nächsten Tag kurz vor Istanbul gehen soll.

Am späten Nachmittag treffen wir auf Peter, einen 57jährigen Amerikaner, der schon mehr als 80.000 Meilen um den Globus geradelt war und kommen für lange Zeit ins Gespräch. Wir tauschen Informationen über die Türkei und Bulgarien aus und ich bekomme neue Motivation ab Istanbul nun alleine weiter zu fahren.

Es ist nun schon spät geworden, aber wir haben mal wieder großes Glück und finden hinter einem Industriepark ein kleines Feld von Bäumen umgeben, wo wir völlig abgeschieden unser Zelt aufbauen können. Der Regen ist an diesem Tag ausgeblieben und so genießen wir den Abend vor unserem Zelt mit Seeblick und Sonnenuntergang.

Erst gegen 10 Uhr am nächsten Morgen fahren wir dann tatsächlich die vielbefahrene Straße nach Istanbul hinein. Es ist nicht einfach und fordert die volle Konzentration auf teilweise 4-spurigen Straßen nicht unter die Räder der türkischen Fahrzeuge zu kommen, aber dennoch den richtigen Weg zu finden und zu fahren. Ca. 30 Kilometer vor dem Zentrum Istanbuls staut sich der Verkehr und wir können uns endlich im Slalom durch die riesigen Automassen hindurchschleichen. Unser Host aus Bakirkoy ist in dieser Nacht bei einer Freundin auf der asiatischen Seite untergekommen, weshalb wir uns dazu entscheiden direkt zum Taksim-Platz zu fahren, um einen Freund eines anderen Hosts zu treffen. Der Weg dorthin führt genau an den Orten vorbei, die ich vor knapp zwei Jahren schon kennenlernen konnte. Wir stoppen direkt an einem dieser Orte, den ich immer aus dem Bus gesehen hatte. Es ist ein großer grüner Parkstreifen, der sich entlang der Küste zieht. An freien Tagen kommen viele istanbuler Familien hierher um zu grillen, Cay zu trinken und die Zeit gemeinsam zu genießen. Wir werden Teil dieses Bildes und kochen unsere eigenen Nudeln und genießen die friedliche Atmosphäre.

Als wir später am Taksim-Platz ankommen, werden wir Zeuge von kleinen Protesten und die Polizei hat einen kleinen Teil des Platzes abgeriegelt. Eine kleine Rauchbombe explodiert, aber es kommt zu keiner Eskalation. Wir rufen nun den Host für diese Nacht an, aber können uns erst um 21 Uhr mit ihnen an diesem Platz treffen. Voll gepackt mit unseren Reiserädern haben wir zwei Stunden Zeit. Da es nun dunkel wird und man uns vor dem Platz warnte, beschlossen wir herumzulaufen und biegen in eine kleine Straße ab. Nach 150 Metern schreitet auch schon der erste Restaurant-Besitzer zu uns und verwickelt uns ins Gespräch. Er lädt uns schließlich zum Cay ein und da wir nichts vorhaben, stimmen wir zu und setzen uns zu ihm. Er ist 21 Jahre alt, studiert Alt-Historik und kommt aus Kurdistan, war aber in Istanbul großgeworden. Nach zwei Stunden verabschieden wir uns, um uns nun mit unserem Host am Taksim-Platz zu treffen. Auf dem Weg dorthin werden wir plötzlich mit kurzer Sirene von einem Motorbike-Polizisten abgefangen, der zwar kein Englisch spricht, aber irgendetwas von uns will. Im ersten Moment dachte ich, dass wir etwas falsch gemacht hätten, aber mit Hand und Füßen verstehe ich recht bald, dass er selbst Fahrradfahrer ist oder einen Freund hat, der auch so Touren macht. Er lädt uns zum Cay ein und mit Smartphone bewaffnet, klappte auch die Kommunikation. Wir wollen uns aber eigentlich mit unserem Host treffen, aber es ist nicht leicht ihm das klar zu machen. Kurze Zeit später bieten uns zwei Türken vom Nachbartisch an uns bei der Verständigung zu helfen. Einer der beiden hat sogar Freunde in Frankfurt und ist mit dem Rapper Haftbefehl befreundet.

Nun stellt sich heraus, dass der Studienkollege und Freund des Polizisten eine siebenjährige Fahrradreise unternimmt und nahezu überall auf dem Globus Fahrradfahren wird. Er selbst will nun beginnen Englisch zu lernen und dann mit einem Motorbike eine längere Tour unternehmen. Anschließend telefoniert er mit unserem Host, der nun zu diesem Restaurant kommen will. Nach über einer halben Stunde ist er aber immer noch nicht da und nach einer Stunde erfahren wir, dass er nun in Bakirkoy ist, wo er wohnt – also 10 Kilometer Radfahren in der Dunkelheit in Istanbul.

Für uns ist das keine gute Alternative mehr und so beschließen wir zurück zu dem Restaurant zu Zufur zu gehen, der uns angeboten hatte bei ihm zu übernachten, wenn wir Probleme haben würden. Er ist froh uns wieder zu sehen und lädt uns zum Abendessen ein. Für mich ist das eine völlig abgefahrene Geschichte mitten am Taksim-Platz bei einem dieser sonst so dreisten und nervigen Restaurantbesitzer unterzukommen – aber Zufur ist anders. Er hat echtes Interesse an uns und will selbst nach Spanien reisen, da seine Freundin von dort kommt, um dort alte historische Stätten zu erkunden. Wir schlafen in dieser Nacht mitten im Restaurant und am nächsten Morgen bekommen wir auch noch ein Frühstück spendiert. Wir genossen den letzten Abend mit ihm sehr und brechen am Morgen erst gegen 10 Uhr auf, um Istanbul zu erkunden und einen erneuten Speichenbruch bei Oliver reparieren zu lassen. Für mich ist das die Gelegenheit nun zum ersten Mal meine Kette zu wechseln und mein Rad zu checken.

Ich führe uns durch die Straßen Istanbuls, Oliver scheint aber regelrecht genervt zu sein, als ob er kein Sightseeing mag, obwohl er es sich gewünscht hatte. Ich bevorzuge die Methode eine Stadt so kennenzulernen, dass man immer den Weg geht, der am schönsten aussieht, aber Oliver will den Autos hinterher direkt zur Hagia Sophia laufen. Nach einer kleinen Runde und in einer kleinen Gasse zwischen Blauer Moschee und Hagia Sophia spricht uns ein Chinese aus Hongkong an, der selbst mit dem Fahrrad unterwegs ist und nahezu die gleiche Route zurück nach China nehmen will. Wir tauschen Kontaktdaten aus und ich überlege mir ernsthaft mit ihm mitzureisen, obwohl ich eigentlich viel schneller unterwegs sein wollte.

Wir haben insgesamt zwei Adressen für diese Nacht auf asiatischer Seite Istanbuls gefunden und nehmen am Mittag die Fähre nach Kadikoy. Überall finden sich Restaurants und Fastfoodläden und wir bekommen Hunger. Da wir nicht direkt auf der Touristenmeile essen wollen, laufen wir durch kleine Straßen und finden ein kleines schönes Restaurant an einer ruhigen Ecke. Wir beschließen, während wir auf das Essen warten bei den Hosts anzurufen, da wir auf unsere am Morgen verschickte SMS keine Antwort bekommen haben. Doch wir erreichen wieder niemanden und stehen nun wieder ohne Wohnung da. Wir schauen uns die Karte an, ob es vielleicht irgendwo einen Park gibt, wo wir zelten können, da es unmöglich erscheint aus Istanbul in zwei Stunden herauszufahren. Doch die Chancen sind nicht sehr hoch und wir entscheiden uns zu warten.

Nach einer halben Stunde schließlich höre ich plötzlich ein deutsches Wort und sehe einen jungen Mann in unserem Alter. Ich springe auf und renne hinterher. Sorry, are you German? Ja, wieso?

Ich erkläre ihm unsere Situation und wir haben mal wieder Glück. Er ruft kurzerhand seinen italienischen Freund aus Palermo an, da bei ihm in der Wohnung gerade die Eltern seines WG-Partners zu Besuch sind und kein Platz mehr vorhanden ist. Keine 30 Meter vom Restaurant entfernt sind wir schließlich in der WG des Freundes und können dort bleiben, so lange wie wir wollen. Nach und nach lernen wir die anderen Mitbewohner kennen: eine Engländerin mit türkischem Freund und ein amerikanisches Paar aus Alaska und Florida. Wir haben einen wirklich entspannten Aufenthalt dort und nutzen die freien Tage, um Kadikoy zu erkunden, bevor es für mich mit dem Chinesen Cheuk nach drei Tagen weiter ins Landesinnere in Richtung Kappadokien geht.

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