Türkei, Teil 2: 21.04. – 05.05.2014

Der Tag musste kommen, an dem ich das moderne, gesellige Leben in der WG in Istanbul gegen den Fahrrad-Alltag eintauschen musste und auch wollte. Der Abschied von Oliver fiel am nächsten Morgen sehr kurz aus, da ich früh startete und die Fähre zurück auf die europäische Seite erwischen musste. Es war ein regnerischer Tag, zu ungemütlich, um Istanbul zu verlassen, aber Cheuk wartete auf mich und wir konnten es gemeinsam tun.

Wir trafen uns an der Galatabrücke und fuhren entlang des Palastes und der neuen Moschee zum Hafen, um nach Yalova, auf der anderen Seite des Mamarameeres überzusetzen und dem tödlichen Verkehr Istanbuls auszuweichen.

Ich war voller Motivation nun endlich wieder Neues zu sehen und gemeinsam zu fahren, das selbst die ersten großen Anstiege und Berge schnell hinter uns gelassen werden konnten. Wir fuhren nach Orhangazi im Süden, um dann die flache Landschaft des Sees bei Iznik auszunutzen. Dieser Abschnitt war ein wirklicher Hochgenuss, da die Straße entlang des Sees durch viele Olivenplantagen führte. Wir beschlossen am Abend – als sogar kurz die Sonne herauskam – unser Zelt an diesem schönen Platz aufzustellen und waren nach unseren ersten gemeinsamen 1000 Höhenmetern echt froh so einen traumhaften Platz gefunden zu haben.

Nach einer entspannten Nacht im Grünen schwangen wir uns am Morgen bei tollstem Wetter auf unsere Räder. Doch es sollte einer der anstrengensten Tage werden, die wir bis nach Kappadokien zurücklegen mussten. Mit über 1500 Höhenmetern und über 600 Hm auf den letzten 10 Kilometern ging am Abend schon die Sonne unter und wir waren mitten auf dem 800 Meter hohem Pass in den Bergen ohne Möglichkeit unser Zelt aufzustellen. Ich wartete gerade auf Cheuk, den das Tempo und die Steigungen ziemlich mitgenommen hatten, als ein Autofahrer vor mir hielt und fragte, ob wir Probleme hätten. Sein Name war Adem und er wollte wieder mehr Englisch sprechen und so erkundigte ich mich nach einem Schlafplatz für unser Zelt. Cheuk und ich waren müde, die Sonne war schon untergegangen und wir erlebten ein kleines Wunder.
Adem lud uns zu sich nach Hause ein, einem kleinen 20-Seelen-Dorf nur 200 Meter bergab um einer Kurve. Er war unsere Rettung und eröffnete uns einen wirklich informativen und interessanten Abend. Wir waren inmitten der Familie und wurden zum Essen ins Haus eingeladen. Die Schuhe mussten schon vor dem Eingang ausgezogen werden und den Frauen wurde nicht die Hand geschüttelt, was für mich sehr fremd war. Wir konnten uns aber normal mit ihnen unterhalten und durch die Englisch-Kenntnisse Adems funktionierte es auch gut. Um eine große Platte in der Mitte des Raumes herum versammelten sich die Familie und wir begannen das erste traditionelle türkische Abendessen einzunehmen.

Später lud uns Adem auch in die Moschee ein als der Muezzin zum Beten rief. Wir sollten ihm einfach alles nachmachen und zwischendurch flüsterte er uns immer etwas zu, was als nächstes kam bzw. warum was gemacht wurde. Nach diesem anstrengenden Tag war es wirklich hart für uns beide sich bestimmt 50 mal auf die Knie zu werfen und die Nase zum Teppich zu führen, doch wir hielten durch. Es ist bestimmt nicht einfach fünfmal am Tag so viel Zeit ins Beten zu investieren, aber das Programm hält fit.

Da am nächsten Tag die Verlobung von Adems Schwester stattfand, hatten sie nicht genügend Platz im Haus und wir wurden in die Moschee umquatiert, wo wir auf dem Teppichboden sehr bequem schlafen konnten – bis am Morgen gegen 5 Uhr zum Gebet gerufen wurde und immerhin 5 Mann hereinspazierten, um das Programm von gestern Abend zu wiederholen. Wir blieben liegen und schliefen noch ein Weilchen weiter.
Die Erfahrung dieses Abends war sehr eindruckvoll für mich und jedes weitere Mal, als ich auf meiner zukünftigen Reise einen Muezzin singen hörte, erinnerte ich mich wieder an diesen Tag.

Die Couchsurfing-Zeit schien nun endgültig vorbei zu sein. Wir waren mit Zelt unterwegs und offenes Internet oder Wifi gab es nicht mehr. Doch Cheuk hatte gehört, dass man an Tankstellen fast immer welches finden konnte, weshalb wir unsere Pausen nun immer dort verbrachten, wenn die Landschaft nicht schön genug war. Oft wurden wir von den Besitzern zum Cay eingeladen – ein Grund mehr es zu versuchen.
Ein weiteres Problem, das man in der Türkei zum ersten Mal bekommt, ist das Auffinden von europäischen Toiletten. Oftmals ist nur ein Loch im Boden vorhanden, kein Toilettenpapier, nur Wasser. Hier erfährt man am eigenen Leib, warum man zur Begrüßung nur die rechte Hand gibt.

Da sich mit der Kultur auch das Essen und die Wasserqualität ändert, bekommt man ab und an Probleme mit dem Magen. Da tut es doch sehr gut zu wissen, dass die Opet-Tankstellen westliche Toiletten führen, auf denen man konfortabel längere Zeit verbringen kann, insofern das Timing beim Auffinden stimmt.

Die Berge waren nun allgegenwärtig und sollten es auch für die ganze Türkei bleiben. Die Nächte waren aufgrund der Höhe kälter als gedacht, sodass wir es vorzogen in der Nähe von Tankstellen zu zelten – in der Hoffnung ins Haus eingeladen zu werden. In der ersten Nacht konnten wir tatsächlich neben der Tankstelle in einem alten Restaurant schlafen, das als Zwiebellager umfunktioniert wurde. Selbstverständlich, dass in unserem Nudeltopf dieses Mal auch Zwiebeln zu finden waren. Wir kochen stets seer einfach, zur Pasta kommen mal Bohnen, mal Fertigsoßen oder Ketchup gemixt mit Paprika, Tomaten, Karotten oder Zwiebeln, je nachdem was gerade in unseren Fahrradtaschen zu finden ist. Manchmal kommt auch Käse mit hinzu, der dem ganzen Pot nochmal eine neue Note verleiht, aber im Nachhinein schwer zu reinigen ist.

Die Tage vergingen, ganze Bergketten wurden hinter uns gelassen und Cheuck und ich hatten uns als Team eingespielt. Langsam wurde es erträglicher jeden Tag so viele Steigungen zu absolvieren und immer nur bis zum nächsten Berg blicken zu können. Wir näherten uns langsam Ankara und befanden uns plötzlich in einer Gegend, die dem Grand Canyon ziemlich ähnlich sah. Wir konnten unser Glück kaum fassen und beschlossen in dieser wundervollen Naturkulisse zwischen Nallihan und Beypazan zu übernachten. Trotz des wieder regnerischen Wetters war es der perfekte Schlafplatz, nur der Sand brauchte einige Tage, um wieder vollständig vom Zelt zu verschwinden. Das Zelten im Canyon an einem See zeigte uns, warum wir all die Strapazen dieser Reise auf uns nahmen und war eines der Highlights in der Türkei.

Am nächsten Tag kam wieder Regen, unser ständige Begleiter zurück. Wir kauften in Beypazan ein und wollten gerade starten, als es wieder kräftig zu schütten begann. Wir beschlossen nun unser Lunch direkt vor Ort einzunehmen, der immer aus Weißbrot mit Schokocream oder Marmelade bestand. Eine alte Frau, die für den Supermarkt arbeitete, sah uns und kam wenig später mit einem Tablett voller gekochter Nudeln mit Tomatensoße und Reis zurück. Wir mussten wohl sehr mitleidseregend ausgesehen haben, waren aber sehr dankbar dafür und verabschiedeten uns am Ende herzlich.

Da wir von allen Menschen, die wir trafen gehört hatten, dass Ankara nicht schön ist, fuhren wir direkt nach Polatli, um dem Verkehr auszuweichen. Auf dem Weg dorthin erlebten wir unser erstes großes Gewitter und fanden Schutz in einer Bushaltestelle. Es war sehr beeindruckend wie stürmisch es plötzlich wurde und wir waren froh einen halbwegs trockenen Platz gefunden zu haben. Nach langer Rast und Zwangspause war die Sonne schon am Untergehen als wir endlich weiterfahren konnten. Es dauerte nicht lange und das nächste Unwetter braute sich hinter uns zusammen, doch keine Tankstelle war in Sicht. Wir passierten gerade ein Kuhdorf, als ein Mann hinter uns herrief: „Woher kommt ihr?“ Hatte ich richtig gehört und er sprach deutsch? Ich nutzte die Gelegenheit und erkundigte mich bei ihm nach einem trockenen Platz für die Nacht.
Daraufhin ging er mit uns zu einem Supermarkt, holte einen Schlüssel und führte uns zu einem leeren Haus neben der Moschee. Wir hatten mal wieder einen trockenen Schlafplatz gefunden und keine 10 Minuten später kam der Sturm und Hagel über uns hinweg.

Früh am nächsten Morgen wollten wir nun das Dorf verlassen, das uns Unterschlupf gewährte, als plötzlich sechs kleffende Hunde mal wieder um uns herum standen. Wir stoppten, stiegen von unseren Rädern, doch es half nichts, die Hunde umzingelten uns. Nach gefühlten 10 Minuten öffnete die Frau des Hauses von dem die Hunde auf uns zu gestürmt waren die Tür und versuchte sie mit Fleischstücken zurückzuholen, doch nur mit mäßigem Erfolg. Warum zur Hölle brauchte dieses alte heruntergekommende Haus in diesem Kuhdorf sechs Wachhunde? Das war die Frage, die ich mir im Nachhinein stellte, aber bis heute nicht beantworten kann.

Wir waren nun in Cihanbeyli in Richtung Eskil angekommen, einer Stadt in der Nähe des größten Salzsees der Türkei. Wir entschieden uns einen kleinen unasphaltierten Pfad zu nehmen, der uns 20 Kilometer ersparte, aber auch genauso lang war – dies entspricht ungefähr der Distanz von Nidderau nach Frankfurt. Im Nachhinein kann man sich überlegen, dass es nicht überall so trocken sein muss, wie der Beginn des Weges vermuten lässt. Nach genau 10 Kilometern kam dann ein schlammiger Abschnitt und der Matsch blieb an den Rädern hängen. Wir erinnerten uns noch zu gut an unseren einen Schlafplatz, der uns am nächsten Morgen dazu zwang, unsere Räder ohne Taschen 500 Meter zur Straße zu tragen, da der Schlamm alles blockierte, sodass wir weder vorwärts noch rückwärts fahren konnten. Das Säubern und Tragen des schweren Gepäcks nahm all unsere Kraft in Anspruch und dauerte über zwei Stunden. Wir beschlossen nach dieser erneuten Erfahrung in Zukunft nie wieder auf solche Wege auszuweichen, solange es Alternativen gibt bzw. es auch nur im Ansatz nach Regen ausschaut.

In dieser Nacht schliefen wir wieder in einer Tankstelle in Privatbesitz mit Restaurant. Es war kein Problem dort das Zelt aufzustellen und der Besitzer empfohl uns den Fisch zu essen, der in einem Teich um einen Pavillon herum gezüchtet wurde. Da ich aber normalerweise keinen Fisch esse und er auch keine Menükarte hatte und kein Englisch verstand, beschlossen wir wieder Nudeln mit unserem Benzinkocher zu kochen. Der Besitzer entdeckte uns aber und wollte, dass wir die Flammen löschen, da wir uns direkt neben der Tankstelle befanden. Wir sollten mit ihm ins Restaurant kommen und dort essen. Wir folgtem ihm also und setzten uns an einen gedeckten Tisch, wussten aber nicht, ob wir dafür bezahlen sollten. Ich kam mir ein wenig aufdringlich vor, da wir schon um einen Schlafplatz gefragt hatten. Am Ende fragte ich, wie viel es kosten würde, aber er wollte kein Geld von uns. Nach dem Essen bauten wir unser Zelt in dem wirklich romantischen und überdachten Pavillon auf, runderherum von Wasser umgeben, zu dem man nur über einen hölzernen Steg kommen konnte.

Wir hatten zwar jede Nacht woanders geschlafen, aber nie eine richtige Dusche gesehen. So beschlossen wir nach Couchsurfern in Nevsehir zu suchen oder direkt auf einen Campingplatz in Kappadokien zu gehen. Nachdem uns in Aksaray keine Tankstelle ihr Wifi benutzen ließ, erfuhren wir erst auf dem Weg dorthin, dass uns ein frisch verheiratetes Paar aufnehmen wollte.

Adil und Cheylan hatten erst 2 Wochen zuvor mit Couchsurfing begonnen und wir waren schon die vierten Gäste. Parallel zu uns verbrachten auch zwei Mädchen aus Texas und Sizilien die nächsten zwei Nächte bei ihnen, so dass es sehr gesellig wurde. Adil war Kinderarzt und Cheylan angehende Doktorin für Marketing. Sie hatten sehr viel Platz in ihrer Wohnung und da gerade Wochenende war auch die Zeit, diese mit uns zu verbringen. Es tat mal wieder gut in einem Bett zu schlafen, alle Klamotten zu waschen und zu duschen, doch wirkliche Zeit zum Ausruhen hatten wir nicht.

Am nächsten Morgen starteten wir früh, um nach Kaymakli zur Underground-City zu fahren. Diese Stadt lag circa 20 Kilometer südlich von Nevsehir entfernt und es war ein echt ungewöhnliches Gefühl der Straße im Auto zu folgen.

Für 20 türkische Lira wurde uns Einlass in das Tunnelsystem des Bergs gegeben, das Christen als Versteck errichteten, als das römische Reich die Türkei eroberte. Es war sehr beeindruckend, wie groß und verzweigt alles war, für uns kaum möglich, die gesamte Größe abzulaufen. Wir fanden immer wieder Löcher, in die man abseits der Touristenroute vorstoßen konnte. Es waren immer wieder neue Gänge, dunkle Räume und neue Möglichkeiten, die sich uns eröffneten. Es machte Spaß die Höhle so auf eigene Faust zu erkunden. Wir hatten nur das Licht des Smartphones, ohne das man völlig aufgeschmissen wäre. Wir wagten uns teilweise ziemlich weit vor, was nicht ganz ungefährlich war, aber es war zu schwer, dem Forscherdrang zu widerstehen. Es gab sogar einen Frischluftschacht, der senkrecht bestimmt mehr als 30 Meter in die Tiefe führte – was die Größe nur erahnen ließ, unmöglich das Ende abzuschätzen. Die ganze Underground-City war touristisch überlaufen, aber sobald man in die dunklen Gänge vorstieß, wurde es plötzlich komplett still – man war in der Dunkelheit gefangen und nur für sich.

Doch gerade diese Möglichkeit so etwas zu tun, machte die Besichtigung zu etwas ganz Besonderem.
Später fuhren wir gemeinsam in die Weltkulturerbe-Stätte rund um Göreme und bestiegen einen Felsen in Uchisar, um einen fantastischen Panoramablick über die ganze Landschaft zu bekommen. Adil und Cheylan führten uns den ganzen Tag herum und zeigten uns wirklich beeindruckende und schöne Plätze in Kappadokien, doch viele waren touristisch so überlaufen, dass man nicht so viel Zeit dort verbringen wollte.
Erst spät abends kamen wir wieder zurück zur Wohnung und hatten gratis eine komplette persönliche Kappadokien-Tour mit zwei unglaublich netten Menschen erleben dürfen. Das Fahrrad hatte so einen Ruhetag erhalten und wir waren tief beeindruckt, müde aber auch froh so etwas gesehen zuhaben.

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