Kambodscha: 19.11. – 29.11.2014

Malaria, Minen und Macheten

Siegfried und mich hielt nichts in der Sozialistischen Republik Vietnam. Voller Freude blickten wir auf das Königreich Kambodscha und die vermeintliche Erlösung als wir den Grenzübergang bei Ouyadav erreichten. Im Vorhinein hatten wir jedoch schon bei Recherchen festgestellt, dass auch das Khmer-Reich kein leichtes Fahrradland werden würde.

Neben Naturgewalten wie z.B. durch die Regenzeit unpassierbar gewordene Straßen oder die akute Gefahr durch die unbehandelt tödlich verlaufende Malaria infiziert zu werden, sorgten auch die menschlichen Gräueltaten für ein gewisses Unwohlsein. Es war die Rede von über 6 Millionen nicht geräumten Landminen, die nach dem blutigen Bürgerkrieg und dem Ende der „Roten Khmer“-Zeit Ende der 1990er Jahre immer noch meist neben den Wegen platziert seien. Auch bewaffnete Raubüberfälle auf unserer geplanten Route und der Hinweis des Auswärtigen Amtes, welches Fahrradfahren in Kambodscha bewusst abrät, ließen unzählige Variationen von Kopfkino zu.

Wir jedoch hielten an unserem Plan fest, raus aus Vietnam und rein ins „Vergnügen“. Insgesamt nur 750 Kilometer würden es sein, d.h. eine Woche Fahrradfahren. Das wird schon gut gehen und mit den angeblich korrupten Grenzbeamten werden wir schon fertig.

Erst einen Monat zuvor wurde die Visumsgebühr von 20$ auf 30$ erhöht, was ich in diesem Zusammenhang zum Glück noch gelesen hatte. An der Grenze angekommen, entpuppten sich die Beamten als freundlich und hilfsbereit. Das Visum-on-arrival wurde ohne Probleme aus dem Nummernblock ausgestellt und ohne Gepäckkontrolle befanden wir uns in der Provinz Ratanakiri, der entlegensten Region Kambodschas – inmitten von Urwald umgeben.

Entlang der Nationalstraße 78, die wohl erst vor wenigen Monaten fertig asphaltiert wurde, erreichten wir am nächsten Morgen Banlung, mit 20000 Einwohnern die größte Stadt der Region. Am Abend zuvor hatten wir noch versucht auf dem Grundstück eines besser gestellten Kambodschaners unser Zelt aufzustellen, doch wir wurden abgewiesen.

Obwohl alle Quellen davon abrieten, schlugen wir uns unweit der Straße in eine kleine Baumplantage und bauten im Dunkelwerden unser Zelt auf. Zum Glück kam keiner der Überfäller durchs Gebüsch und auch keine Landmine explodierte. Den Mücken schienen wir auch entkommen zu sein, zumindest für den Moment. Das bedeutete, dass wir doch tatsächlich den drei großen „M“s am ersten Tag einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten.

Entlang der asphaltierten Straße, die mitten durch die bergig dschungelige Grenzregion zu Laos und Vietnam gebaut wurde, lagen immer wieder kleine Siedlungen, aus denen krasse Unterschiede zu Vietnam hervorgingen. Das penetrante Gehupe war den Lauten des Urwalds gewichen und der Verkehr auf ein Mindestmaß geschrumpft.

Auch das Aussehen der Einwohner „Indochinas“ veränderte sich, sie ähnelten mittlerweile mehr den Indern als Chinesen. Erschreckend offen wurde das Übel der Armut sichtbar, ungewohnt und heftig, dass es hier in Südost-Asien noch weitere, kaum vorstellbare Abstufungen zu China oder Vietnam geben könnte. In halb fertigen oder provisorisch erbauten Hütten „hausen“ sie. Ich fühle mich beim Fotografieren unwohl und bilde viele der Eindrücke Kambodschas nicht mit der Kamera ab. Es sind Momente, Erfahrungen und Ansichten, die ich mit mir ausmachen muss und die ich nicht im Internet zur Schau stellen möchte. Es ist mir unangenehm hier durchzufahren und zu wissen, dass sie jeden Tag so leben.

Zum Glück ändert sich dieses Bild aber Tag für Tag, wir fahren nach Stung Treng, einer neuen Region, wo es den Menschen etwas besser zu gehen scheint, oder habe ich mich nach drei Tagen einfach an diesen Anblick gewöhnt?

Es ist wirklich nicht einfach hier mit dem Fahrrad zu sein, doch in großen Schritten nähern wir uns nach der Mekong-Überquerung dem anfänglich 500 Kilometer entfernten Siem Reap. Täglich wird es über 40°C und wir verlieren viel Salz und schwitzen selbst in der Nacht beim „Nichtstun“, denn unter 25°C kühlt es eigentlich nicht ab. Es ist heiß, aber immerhin nicht mehr so schwül wie noch in Vietnam, abends sind wir dennoch müde und durch die ganztägige Sonnenbestrahlung auch fix und fertig. Um 6 Uhr wird es hell, um 8 Uhr haben wir bereits wieder über 30°C, was echt noch angenehm ist. Ende November ist es mittlerweile und die Alternative Deutschland sieht auch nicht besser aus, so dass wir hiermit eigentlich ganz zufrieden sein sollten, doch perfektes Fahrradwetter sieht anders aus.

Immerhin gestaltet sich die Platzsuche mit der Minen-Thematik nach der ersten riskanten Wildcamp-Aktion entspannter. Ein Farmer lässt uns eine Nacht bei sich das Zelt aufstellen und in der darauffolgenden Nacht schlafen wir auf dem Gelände eines offiziellen Gebäudes, wo wir nicht fortgeschickt werden. Bei den teils heruntergekommenen Familienhäusern wollen wir nicht nachfragen, wir erwarten sowieso kein Verständnis für unsere Art zu reisen und mehr als zwei Abfuhren an einem Abend demotivieren doch sehr (gerade nach Vietnam) bei knapper Zeit noch mehr Abfuhren zu bekommen.

So bauen wir in der Nacht vor Siem Reap unser Zelt einfach auf dem Gelände einer Schule auf. Freche Kinder haben uns aber entdeckt und bewerfen abends das Zelt mit Laub. Nach meinem lauten Geschrei (nach asiatischer Sitte „Gesichtsverlust“) ist aber Ruhe. Die Kinder kommen nicht mehr wieder und zeigen wenigstens ein wenig Respekt gegenüber einem Gast des Landes.

Es tut gut endlich in Siem Reap, einer völlig anderen kambodschanischen Welt, angekommen zu sein. Wir quartieren uns unweit des Zentrums ein und erkunden am ersten Abend die Stadt. Die Preise sind jedoch ungewohnt hoch und die ersten kleinen Supermärkte seit China sind wohl nur für Touristen gebaut. Bezahlt wird wie selbstverständlich mit Dollars, kambodschanische Riel gibt es als Wechselgeld. Es ist eine schräge Welt, denn selbst die Preise sind in Dollar ausgezeichnet. Backpacker und Luxus-Urlauber aus allen erdenklichen Ländern, wirklich alles versammelt sich hier. Es ist eine Kleinstadt, die vom Tourismus zu leben scheint, den Menschen geht es dort weitaus besser als in den abgeschiedenen Regionen aus denen wir kommen. Alle wollen Angkor Wat erleben, wir mischen uns unauffällig unter die Massen und tun es ihnen gleich.

Beeindruckend ist das Schauspiel, als wir am nächsten Morgen noch im Dunkeln den Weg zur größten Tempelanlage der Welt unter die Reifen nehmen, um einen unvergesslichen Sonnenaufgang hinter der Silhouette der spitzen Türme zu erleben. Wir haben uns einen Tag Zeit genommen und fahren den kleinen Rundgang ab, bis zum Abend zeigt der Fahrradcomputer 35km an. Zum Glück hatten wir uns nicht noch mehr vorgenommen und wurden nicht „über-tempelt“, denn erst bei Sonnenuntergang kommen wir im Platzregen wieder im Hostel an. Ursprünglich wollten wir nur zwei Nächte im Hostel bleiben, doch am Ende werden es vier. Genügend Zeit, um einiges zu erledigen und endlich mal wieder einen Tag auszuruhen.

Nach der langen Zeit in Siem Reap haben wir wieder genug Energie und fahren die 150km bis kurz vor die thailändische Grenze bei Poipet. Die Strecke führt stets geradeaus und ist regelrecht langweilig. Nur ab und an begegnen uns einige Fahrradfahrer, die noch alle so frisch aussehen als ob sie in Bangkok gestartet wären. Wir grüßen freundlich, doch zum Gespräch kommt es nur mit einem Brasilianer, der auch in Deutschland gestartet war. Wir teilen Informationen über Bangkok und Kambodscha aus, bevor wir uns in entgegengesetzter Richtung trennen. Diese kurze Pause war absolut effektiv, denn nun haben wir eine Hosteladresse in Bangkok und müssen uns nicht damit herumärgern.

Nach zwei weiteren fehlgeschlagenen Zeltanfragen, bauen wir in unserer letzten Nacht das Zelt neben einem sicheren alten Weg auf. Am Abend kommt noch ein älterer Kambodschaner vorbei und bietet uns etwas zu essen an. Höflich lehnen wir ab, doch der ältere Mann verabschiedet sich nicht ohne uns vor den giftigen Schlangen neben dem Zelt zu warnen, die möglicherweile im hohen Gras zu finden sind. Bei Königskobras und Vipern ist dies sicherlich gut gemeint, aber nochmal umziehen wollen wir auch nicht, das Risiko „Schlange“ nehmen wir in Kauf, hat ja schließlich nichts mit den fast vergessenen drei „M“s zu tun. In der Nacht kommen wir dennoch nicht zur Ruhe, irgendeine Zeremonie dröhnt aus den öffentlichen Megaphonen, die vollkommen übersteuern und bis zum Verlassen des Schlafplatzes weiter lärmen.

Müde und mit gemischten Gefühlen überqueren wir bei Sonnenschein die beschäftigte Grenze in Poipet, müssen zuvor aus was für Gründen auch inmer noch unsere Finger scannen lassen und dann ist der Weg frei ins gelobte Land.

Kambodscha war zwar keineswegs so schlimm wie befürchtet, aber mit das schwierigste Fahrradland meiner Reise. Es war psychischer Stress, dem man die ganze Zeit ausgesetzt war, nicht so sehr das Radfahren (trotz Hitze), vielmehr die schwierigen Rahmenbedingungen machten es zu einem harten Brocken während unserer zwei Monate in Südost-Asien.

Dieser Beitrag wurde unter Reiseberichte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.