Waldbrände, Kälte, Regen: was denn nun?
Der Start in ein neues Jahr war geschafft, beruhig schliefen wir auf unseren kleinen Flugzeugsesseln ein und erwachten erst am nächsten Morgen über der roten Wüste Australiens, kurz bevor das Flugzeug in Adelaide landete. Nun war 2015, ein neues Jahr, ein neuer Kontinent und das 20. Land meiner Reise erreicht. Der beschäftigte Zoll prüfte nach der Landung unsere Fahrräder, die durch die energische Putzerei in Kuala Lumpur fast wie neu wirkten. Ein kurzer neugieriger Blick genügte und die gestressten Beamten gaben uns den Weg frei.
Draußen vor dem leeren Flughafen herrschte ein wohlfühlendes kühles Klima und die drückende Luftfeuchtigkeit der letzten zwei Monate war einer leichten angenehmen Brise gewichen, die sich befreiend anfühlte. So ließ es sich aushalten und wir blickten mit großem Optimismus nach vorn.
Die digitalen Anzeigentafeln zeigten den ersten Januar an, was im bevölkerten Asien sicherlich niemanden interessiert hätte, aber nun waren wir nicht nur einen kleinen Schritt weiter, sondern tausende Kilometer geflogen und in einer neuen Welt, auf der Südhalbkugel. Nur 15 australische Dollars steckten zusammengefaltet in unseren Taschen, doch zum Glück liefen die ATMs auch an Feiertagen. Geldscheine in der richtigen Währung besaßen wir kurz darauf, doch was konnte man damit an einem Urlaubstag kaufen? Zu unserer Überraschung wirklich viel, denn bei zahlreichen Geschäften standen die Türen offen, kein Wunder, dass es sich bei den Besitzern meist um eingewanderte Asiaten hielt.
Nach zwei Stunden hatten wir unsere mumifizierten Fahrräder aus den Massen von Plastik befreit und nach sorgfältiger Überprüfung blickten zwei sauber geputzte fahrtüchtige Rösser auf uns herab. Jetzt konnte es endlich losgehen, doch der Weg aus dem Flughafen führte uns nicht weit bis wir auf ein schwedisches Möbelhaus stießen. Da war ja noch was! In China hatte ich meinen Kocher weggeschickt (das Päckchen war immer noch nicht in Peking angekommen), so dass wir uns aus zwei zusammengeschnittenen Blechdosen einen praktischen Essens-Kocher bauten und nach Spiritus Ausschau hielten. Selbstverpflegung war das neue Zauberwort, denn bei westlichen Preisen konnten wir uns keine zwei Mahlzeiten mehr leisten. Asien lag viele tausende Kilometer entfernt, doch zu unserem Glück gab es im Möbelhaus ein bezahlbares Neujahrsangebot, das unseren Hunger bis auf Weiteres stillte. Erst im angrenzenden Baumarkt wurden wir wegen des gesuchten Brenn-Alkohols fündig und erwarben gleichzeitig einen Stromadapter, denn zum aller ersten Mal waren wir mit unseren europäischen Steckern aufgeschmissen.
Mit Geld in der Tasche, einem neuen Adapter, selbstgebauten Kocher und gestilltem Magen konnte es nun tatsächlich losgehen. Adelaide war eine sehr ruhige und angenehme, fast schon langweilige Großstadt, doch nach Asien fühlten wir uns dort genau richtig. Mit grünen Parkanlagen ums Zentrum mussten wir am Abend auch nicht weit fahren, um hinter verdeckten Bäumen einen ruhigen Schlafplatz für unser Zelt zu finden.
Am darauffolgenden Morgen nahmen wir uns nun den Aufstieg in die Adelaide Hills vor, über 500 Meter mussten wir bei knallenden 50°C überwinden, was einfach viel zu heiß zum Radfahren war. Wir legten eine lange Schlaf- und Essenspause ein und erwachten erst am frühen Abend nach unserem ausgedehnten Erholungsschlaf. Nur 30 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt bauten wir neben einer stillen Straße an einer Hundewiese unser Nachtquartier auf und wurden am nächsten Morgen durch lautes Kakadu- und Elstergeschrei geweckt. Auf unserem Zelt befanden sich viele kleine weiße Asche-Stücke, die ich achtlos wegbließ, außerdem stank es nach Rauch, der mich seit den müllverbrennenden Asiaten nicht mehr beeindruckte.
Gerade als wir aufbrechen wollten, bemerkte ich einen Plattfuß, also nochmal absatteln und flicken. In der Zwischenzeit kamen immer mehr aufgeregte Hundebesitzer vorbei, die uns vor schweren Waldbränden warnten, die nur 20 Kilometer weit weg wüteten. Durch ungünstige Winde konnten brennende Funken bis zu 10km in unsere Richtung springen, viel zu gefährlich sei es hier zu verweilen und so schwangen wir uns nach der Zwangsreparatur auf die Räder und begannen schon bei aufsteigenden Bradwolken zu flüchten. Es war heiß und schon seit Tagen „Total Fire Ban“, doch erst im Nachhinein erfuhren wir, dass es sich um eine der schlimmsten Brände seit über 20 Jahren hielt, doch wir hatten bei Verwandten Siegfrieds im 80 Kilometer entfernten sicheren Victor Harbour Unterschlupf gefunden und verbrachten geschützt die nächsten 4 Nächte auf einer Eier- und Ziegenfarm.
Bei starkem Gegenwind und erneut hohen Temperaturen starteren wir nun entlang der Küste in Richtung Melbourne. Über die kleine Küstenstadt Goolwa und den größten Binnensee Australiens erreichten wir nach einer Woche Mengine. Die erste Hitzewoche war nun endgültig vorbei und der erste Regen empfing uns in der kleinen Stadt. Ungläubig staunten wir, denn der kühlste und regenreichste Hochsommer seit über 30 Jahren stand für die nächsten sechs Wochen an. In den ersten zwei darauffolgenden Tagen fiel mehr Regen als im australischem Sommer zusammen. Gedanklich wurden wir wieder ins entfernte Malaysia getrieben und suchten in alter Manier eine trockene Bleibe, die wir glücklicherweise in einem Abrisshaus und einer Schaf-Scheren-Station fanden, in der wir unbemerkt zwei Nächte verbrachten.
Über den Nationalpark Coroong erreichten wir einige Tage später Kingston, das mit einem tollem Sandstrand aufwartete, an dem wir von Sträuchern verdeckt eine Nacht verbrachten – wenn das Wetter doch mitspielen würde. Seit Tagen frohren wir bei unter 15°C und Regen, Besserung nicht in Sicht. Der eiskalte Gegenwind aus der Antarktis gab uns den Rest, zum Glück hatten wir genügend Zeit bis Sydney eingeplant.
Neben dem kräftezehrenden Wetter machte es uns auch die Regierung schwer. Es war nicht mehr erlaubt in der Öffentlichkeit zu zelten und auf Wildcampen stand eine Strafe von 1000 AU$. Anfänglich war es schwer geeignete Plätze zu finden, da ich mich stets gut versteckten wollte. Dennoch fanden wir immer ein paar Möglichkeiten, Asien hatte aus uns eben echte Zeltplatz- und Unterkunftsexperten gemacht. An einem Tag blieb uns so nur noch die kreative Flucht auf eine ruhige Friedhofstoilette. Es war schon dunkel und niemand mehr anwesend außer zwei Kängerus, die nur mit dem Kopf schüttelten. Nicht nur sie wurden immer wieder in die Enge getrieben. Denn Australien war komplett eingezäunt. Kaum ein Stück Land war auffindbar, an dem kein Stacheldrahtzaun den Weg versperrte. Hatten die Australier wirklich Angst, das eingenommene Land wieder zu verlieren?
Über Beachport nach Millicent fuhren wir in der zweiten Woche und wurden weiterhin von Nässe und Gegenwind begleitet, ab und an roch man noch die unzähligen verwesenden Känguru-Körper, die mal nur noch Knochen, mal noch frisch, aber öfter auch ohne Kopf zu finden waren. Eine Art Trophäe?
Immer weiter ging es für uns und so fuhren wir entlang der Strände an schönen Küstenorten vorbei und erreichten mit Warrnambool die berühmte „Great Ocean Road“. Nun war Halbzeit erreicht und die vielen übergroßen Trucks, die uns bis dorthin begleiteten, transportierten aus den Plantagen unzählige Mengen an Holz zu den Sägemühlen. Doch mit dem Erreichen der Touristenroute wurden die Trucks durch die Caravans der Urlauber ersetzt, mit denen wir uns seitdem herumschlagen mussten.
Der Staat „South Australia“ lag nach knapp drei Wochen hinter uns und mit dem Erreichen „Victorias“ spürten wir das erste Mal wieder Heimat. Es gab doch tatsächlich Aldi in Australien und die Geschäfte sahen tatsächlich aus wie bei uns, nur dass sich die angebotenen Waren unterschieden. Die Touristenstraße passierten wir innerhalb weniger Tage und ließen Attraktionen wie die „Bay of Islands“, „London Bridge“ oder auch „12 Apostel“ nicht ungesehen. Nach Port Campell überrumpelten uns dann aber die Berge, hinauf auf über 560 Meter ging es, um nach Lavers Hill zu gelangen. Dort verließen wir für einen Ausflug in den Otway-Nationalpark die beschäftigte Straße und fuhren teils auf Waldwegen immer weiter hinein in den Regenwald und erkundeten den Beauchamp-Wasserfall. Auf der Weiterfahrt zurück zum Princes-Hwy entdeckten wir sogar in den Baumkronen der Eukalyptuswälder niedlich schlafende Koalabären und zutrauliche Papageien, die uns immer wieder auf unserem Weg begleiteten.
Nach ungefähr 1300 Kilometern ersetzten immer mehr Häuser und Städte die weitläufige Natur und schon bald erblickten wir in der Ferne die Skyline Melbournes. Mit über 3 Millionen Einwohnern, die alle im Einzugsbereich der Metropole in Einfamilienhäusern wohnten, nahm die Durchquerung viel Zeit in Anspruch, doch durch einen separierten Fahrradweg gestaltete sich die Einfahrt sehr ruhig und entspannt. So kam uns auch das Zentrum vor, mit so einer sauberen und ruhigen Großstadt hatte ich nach Asien nicht gerechnet, ein schöner Kontrast zum restliche Australien.
Die erste Hälfte war damit nach drei Wochen erradelt und zumeist recht unspektakulär. Wir hatten deutlich mehr mit dem Wetter und den kühlen Temperaturen zu kämpfen und waren froh uns keine Wüstendurchquerung vorgenommen zu haben, da schon die attraktiveren Gebiete kaum echte Sehenswürdigkeiten boten. Doch optimistisch blickten wir in die zweite Hälfte. Das kapitalistische System hatte uns sowohl vom Preisniveau als auch von ihren Gesetzen keine erholsame Urlaubsfahrt gegönnt. Kochen durften wir wegen der Waldbrandgefahr nicht und Zelten wurde zugunsten der Campingplatz- und Hotelbesitzer verboten. Doch viele Australier schienen sich über diese Regeln hinwegzusetzen, was uns ein wenig Hoffnung gab dem Gesetzesterror zu entkommen.