Turkmenistan: 02.07. – 07.07.2014

Das Rennen kann beginnen
Fünf ganze Tage haben wir Zeit, um Turkmenistan mit seinen gut 500 Kilometern zu durchqueren. Viel Zeit bleibt also nicht, um irgendwo anzuhalten, mit den Menschen in Kontakt zu kommen oder das Land besser zu erfahren. Es sind fünf Tage Fahrradfahren und vielleicht Zufall, was und wie man am Ende über das erste zentralasiatische Land denkt. Früh morgens soll nun der Startschuss fallen für ein Rennen durch die heißeste Wüste der Welt – die Karagum-Wüste.
Pünklichst um kurz nach 7 Uhr stehen wir vor der iranischen Grenze, haben unsere Rial zurück in Dollar getauscht und sind bereit aus dem Iran auszureisen. Doch die Beamten wollen unser Gepäck durchsuchen und der Zuständige kommt erst um 8 Uhr. Das heißt eine Stunde bei noch angenehmen Temperaturen zu warten, eine Stunde die uns geklaut wird. Um kurz vor 8 Uhr trifft der Gepäckbeschauer ein, schaut in ganze zwei Taschen von unseren 12 und lässt uns gehen – was für ein Schwachsinn war denn bitte das und deswegen verlieren wir soviel Zeit. Es dauert noch weitere 20 Minuten und wir haben unsere Ausreisestempel im Pass. Nun können wir über eine kleine Metallbrücke nach Turkmenistan reisen.

Die Grenze wird durch Soldaten gesichert, die noch wie Kinder aussehen, sie sind sehr jung, zeigen uns den Weg, aber reden nicht viel. Die Einreise nimmt viel Zeit in Anspruch, alle Papiere müssen von Hand ausgefüllt werden. Wir müssen unsere Geldbeträge angeben, eine Zollerklärung unterschreiben und 12$ bezahlen für die wir noch eine Quittung bekommen. Nach einer Stunde Wartezeit ist das erledigt, nun dürfen wir alle Gepäcktaschen abnehmen und durch einen Röntgen-Scanner schicken. Alles klappt problemlos, aber dauert eben sehr lange.

Um 10 Uhr ist es endlich soweit, unsere Uhren sind ein weiteres Mal umgestellt, neue Währung in der Tasche und alles bereit zum tatsächlichen losfahren. Einmal müssen wir unsere Pässe noch an der Grenze vorzeigen bis wir nach Turkmenistan reinfahren. Das Rennen hat begonnen, wir gönnen uns aber erstmal an der ersten Kreuzung in einem kleinen Shop ein Softgetränk und zwei Flaschen Wasser. Wir entscheiden uns nach Norden zu fahren und nicht mehr in die gleichnamige Stadt Saraks, um nach Mary zu kommen. Erst am Abend wird uns bewusst, dass das ein Umweg von 30-40 Kilometern ist. Der Wind bläst gehörig ins Gesicht, wir fahren auf schlechtesten Straßen nach Norden und kommen mit 10,6 km/h auch kaum vorwärts. Doch recht bald ändert sich das trostlose Land und grüne Baumwollplantagen tauchen auf. Wir schaffen insgesamt 80 Kilometer – für den ersten „halben“ Tag und die Straßen- und Windbedingungen sehr gut, aber die Knie schmerzen und wir stellen unser Zelt bei aufkommender Dunkelheit in der Nähe von riesigen Mückengebieten auf. Wir sind bis ans Limit gefahren und warten auf einen Tag, an dem es nicht windet, um den Sieg nach Hause zu holen. Wenn dieser nicht kommt, dann geben wir weiterhin unser Bestes, aber Erfolg nicht garantiert.

Wir müssen bei den heißen Temperaturen von über 40°C häufig anhalten, gönnen uns Flüssigkeit und Eiscreme, wenn denn mal ein Shop auftaucht. Die Shops sind nicht immer als solche zu erkennen und die Toiletten nur noch Löcher ohne Wasser, Klopapier oder andere Abputzmöglichkeiten wie noch in Südosteuropa oder dem Iran. Ich fange an die sauberen Hock-Toiletten aus dem Iran, die mich zunächst abschreckten, zu vermissen.

Noch bevor der zweite Tag anbricht, stehen wir bereits um 4.30 Uhr auf und frühstücken Brot und kochen Tee. Bei Sonnenaufgang radeln wir schließlich los, der Wind hat nachgelassen und damit die Chance geöffnet, an diesem Tag den Sieg perfekt zu machen oder eher die zusätzlichen Umleitungskilometer wieder einzuholen.

So früh morgens ist der Wind meist nicht stark und so stoppen wir nach 30 Kilometern in einem kleinen Restaurant, um dort Tee zu trinken und unser Wasserhaushalt aufzufüllen. Es ist ein Hinterzimmer im prächtigsten Sowjet-Stil mit riesigen Gardinen und den entsprechenden zwei russischen Bedienungen, genau so habe ich mir Russland immer vorgestellt. Es bleibt auch an diesem Tag grün, viele Arbeiter werden in überfüllten Wagen zu den Feldern transportiert, es sieht ein wenig nach Zwangsarbeit aus.

Doch das, was am meisten auffällt, sind die Frauen, die sich komplett verändert haben. Sie tragen bunte Kleider, ziehen sich körperbetont an und tragen keinen Tschador mehr. Das Gesicht ist zu sehen, Frisuren werden getragen und man sieht endlich mal wieder lachende Frauen. Diese bunte Vielfalt ist schön anzusehen und lenkt mehr ab, als das ständige Umhang-Einheitsgetrage in schwarz.

In Richtung Mary wird die Landschaft dann aber doch wüstenähnlicher und wieder trockener. Die LKW-Fahrer fahren rücksichtsvoller als im Iran, man ist deutlich zivilisierter an den Kreiseln, wir gelten nach dem Iran wohl als echte Raudis, doch die Autofahrer halten nicht mehr so viel Abstand. Die Straßen sind weiterhin nicht bester Qualität und die Frequenz von möglichen schattigen Pausenplätze bzw. Shops nimmt merklich ab. Doch eigentlich immer ist etwas im Abstand von 50 Kilometern zu finden, so dass die 4,5 L mitgeführtes Trinkwasser ausreichen. Durch den anhaltend nur leichten Seitenwind erreichen wir abends am zweiten Tag Mary und sind am Ende 130 Kilometer gefahren. Die Sonne ist schon wieder untergegangen, doch wir sind noch immer im Einzugsbereich Mary. So bekommen wir ein echtes Problem, doch plötzlich taucht eine beleuchtete Hofeinfahrt auf und wir fragen nach, ob es möglich ist dort zu schlafen. Die Frauen diskutieren kurz und lehnen ab, doch als wir gerade gehen wollen, kommt ein 22-jähriger Mann heraus und holt uns zurück, es sei kein Problem. Wir können draußen im Hof schlafen, dort steht eines der typischen Essensbetten. Kurze Zeit später bekommen wir Cay und Suppe gereicht. In einer Schüssel schwimmt irgendetwas von einem Tier, was man in die Suppe schneiden soll. Auf Nachfrage erfahren wir, dass es Rinderknie ist, doch Reiner ist überzeugt, verstanden zu haben, dass es sich dabei um Rinderfuß handelt. Kaum Fleisch, viel Knorpel und Fett, fast genau das, was uns jetzt gut tut. Wir probieren es und es schmeckt wirklich gut.

Durch diese Bekanntschaft kommen wir kurz ins Gespräch und können uns über ihn und das Land unterhalten. Der 22-Jährige ist Student, musste 2 Jahre zum Militär, ist verheiratet und hat ein kleines Kind. In Turkmenistan ist es üblich mit 19 oder 20 Jahren zu heiraten, in diesem Land wäre ich echt spät dran. Jetzt verstehe ich auch die überraschten Reaktionen auf meine Antwort auf die Frage, was mit meiner Frau zu Hause sei.

Am dritten Tag starten wir wieder mit Sonnenaufgang, nun stehen uns 220 Kilometer Wüste bis Turkmenabad bevor. Es ist wieder deutlich über 40°C, die ersten Sanddünen begegnen uns und Dromedare sind zu bewundern. Endlich willkommen in der Wüste. Ich bin fasziniert von der Leere und nach 50 Kilometern kommt an einem Polizei-Checkpoint, die uns immer freundlich durchwinken eine Jurte, wo wir unseren Wasservorrat auffrischen können. Die Preise sind nun keine Touristenpreise mehr, sondern bunt durchgewürfelt, damit der Preis irgendwie passt. Tee kostet mal 1 Manat und manchmal 5 Manat, je nachdem, wie es eben gerade passt. Doch in der Wüste kommt eben noch der doppelte Wüstentouristen-Aufschlagspreis hinzu, so dass das Wasser schon fast mit Gold aufgewogen werden kann. Doch wir sind ausgetrocknet und brauchen Wasser und schlagen kaum noch klar denkend zu. Die Hitze ist nochmal stärker als zuvor, obwohl die Temperaturen im Vergleich zum Iran nur leicht merklich auf 50°C auf dem Termometer angestiegen sind.

Am vierten Tag erreichen wir in aller früh die „Stadt“, die in unserer Karte zwischen Mary und Turkmenabad eingezeichnet ist. Doch diese scheint verlassen und besteht nur aus einem geschlossenen Hotel und Shop und einem Restaurant, das uns das Wasser zu einem dreifachen Restaurant-Wüstentouristen-Aufschlagspreis verkauft. Doch in den nächsten 50 Kilometern kommt nicht anderes mehr, wir schlagen mal wieder fast völlig ausgetrocknet zu, um irgendwie überlebend zum Cafe zu gelangen. Nach einer wirklichen Demonstration der Wüste und ihren Fähigkeiten und einem längst überfälligen Dromedar-Skelett genießen wir es an dem Restaurant anzukommen und bestellen erstmal eine Suppe. Es schafft halt nicht jeder in der Wüste zu überleben und in unserer Suppe befindet sich mal wieder ein unidentifzierbares Fleischstück, wobei Reiner sich sehr sicher ist, dass es sich dabei um Rinderschwanz handelt. Das macht aber nichts, nach so langer Hunger- und Durststrecke in der Wüste schmeckt es wirklich fantastisch. Nach weiteren 30 Kilometern kommen wir spät abends an einem letzten Restaurant vorbei, kaufen uns ein Erfrischungsgetränk und können zusehen wie Tortelline zubereitet werden. Die Besitzerin gibt uns gleich welche gratis aufs Haus mit etwas Ayran dazu. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen in Turkmenistan genauso gastfreundlich sind wie im Iran, doch meist brauchen sie einige Zeit, um aufzutauen. Am Ende schenkt sie mir noch ein selbstgemachtes Stoffherz, das nun mein Fahrrad ziert – echt herzlich, bevor wir zu unserer zweiten und letzten Nacht in dieser Wüste aufbrechen und wieder einmal hinter einer Sanddüne ein geeignetes Plätzchen finden.

Am nächsten Tag müssen wir nur noch 75 Kilometer zurücklegen, nur noch die Urkunden zum Sieg an der Grenze abholen, so denke ich. Turkmenabad ist auch schnell erreicht, so dass wir dort ausgiebig einkaufen, nochmal Geld wechseln für den letzten Einkauf. Wir machen unsere Mittagspause direkt an einer Bushaltestelle und kaufen später noch ein Eis. Die Shopbesitzerfamilie möchte im Anschluss noch ein Foto mit uns machen und schenkt uns noch Pfannkuchen mit Quark. Am Ende verlasse ich den Shop sogar noch mit turkmenischer Flagge, die immerhin für die letzten 30 Kilometer mein Fahrrad ziert. Der Wind bläst nun zum ersten Mal wieder seit dem ersten Tag direkt ins Gesicht, es wird doch knapper als gedacht. Am Ende kehren wir noch in ein Cafe, um unsere letzten Manat loszuwerden und Tee zu trinken, werden dort noch mit Teigtaschen beschenkt, aber haben durch das Essen Zeit verloren. Nun heißt es doch nochmal zittern, denn die Grenzen schließen um 5 Uhr. Zeit zum Reifenflicken wäre also nicht mehr vorhanden. Mit richtigem Gegenwind kommen wir schließlich 20 Minuten vor Grenzschließung an, nicht auszudenken, wenn der Wind immer so geweht hätte. Bei der Ausreise werden wir nach Waffen befragt, oder ob wir irgendwelche Bücher hätten, wobei ich letzteres nicht ganz verstanden habe, wieso sie so etwas wissen wollen. Sie schauen wieder nur in zwei unserer Taschen und dann ist der Weg in Richtung Usbekistan frei.

Es war ein Land, dass ich in den fünf Tagen kaum richtig kennenlernen konnte, aber die Sachen, die ich gesehen hatte, passten mal überhaupt nicht zu den Berichten, die ich gelesen hatte. Ich war positiv überrascht und bin nun gespannt auf die weiteren Erfahrungen in den zentralasiatischen Ländern.

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