Kirgisistan: 08.08. – 12.08.2014

Kurze Einblicke in die gebirgige „Schweiz“ Zentralasiens
Wir überqueren mit dem nochmals über 4000 Meter hochgelegenem Grenzpass nicht nur eine Landesgrenze, sondern werden auch Zeuge eines krassen Wetterwechsels. Auf kirgisischer Seite der Berge scheint die Welt völlig anders zu funktionieren, denn es stürmt regelrecht. Auf noch trockener Erdpiste fahren wir hinab oder lehnen uns besser gegen den Wind. Teilweise ist das Straßenmaterial weggespült und Brücken eingestürzt. Der einzige Weg führt gezwungenermaßen durch die lehmig-roten undurchsichtigen Ströme der Flüsse. Wir bewegen uns nicht schnell, aber mit jedem Meter, den wir zurücklegen, kommen wir Sary Tash näher. Es ist ein kleines Dorf, das uns die Möglichkeit gibt, östlich nach China abzubiegen oder nördlich über weitere Pässe nach Osh bzw. Bishkek zu radeln. Wir sind noch nicht lange im Land, doch eines fällt nach Wochen des Unterwegsseins in kargen Landschaften auf: hier ist es grün. Grün, grün, grün.

Es ist ein unbeschreibliches Gefühl nach Tagen vielleicht sogar Wochen endlich wieder gras bewachsene Berghänge und sanft dahinfließende Bäche und Flüsse zu sehen, die sich idyllisch durch eine faszinierende Bergwelt ziehen. Wir fahren an ganzen Jurten-Dörfern vorbei, die Kinder winken uns zu und zum wirklich ersten Mal in Zentralasien sehe ich Pferde, riesige Pferde. Sie können sich auf den saftigen Wiesen frei bewegen und nur ab und an kommt uns ein Kirgise hoch zu Ross auf der Straße entgegen geritten.

Der Wind hat zum Glück nach der 1000 Höhenmeter-Abfahrt deutlich nachgelassen, doch die Regenwolke holt uns ein. Wir können weit ins endlos-scheinende Tal blicken und sehen die Regenwand immer näher ziehen. Ein Ausweichen ist zwecklos und so stoppen wir, um eine Kleinigkeit zu essen. Es ist hier deutlich kälter und seit langem ziehe ich mir zum Radfahren wieder einen Pullover an. Der Regenschauer, der uns schon kurze Zeit später einholt, meint es aber gut mit uns. Nur einige dicke Regentropfen bekommen wir ab, die zwar ungemütlich sind, aber immerhin das Rad und unsere müden Körper nicht komplett durchnässen.

Nach einer halben Stunde ist alles vorbei und bei mäßigem Gegenwind rollen wir am Abend in Sary Tash ein. Von einer netten Hotel-Familie werden wir von der Straße gefischt und können für 6$ pro Person und Nacht inkl. zwei warmen Mahlzeiten übernachten. Übernachten bedeutet in Zentralasien auf dem Teppichboden in einem karg eingerichteten Raum zu schlafen, der mit ein oder zwei Decken auf dem Boden als Schlafgelegenheit eingerichtet wird. Es fühlt sich nicht großartig anders an, als im heimischen Zelt zu schlafen. Nur das Einpacken des nassen Zelts fällt am Morgen zum Glück weg und man muss nicht selbst kochen, denn die Mahlzeiten werden für uns frisch und warm zubereitet, es schmeckt vorzüglich. Man findet endlich wieder etwas Fleisch und Gemüse mit einer leckeren Gewürzmischung im Kochtopf. Ich bin froh und optimistisch, dass nun alles wieder leichter wird. Das Dorf ist zwar ein kleines verschlafenes Nest mit nur einem kleinen Shop, aber nach Ost-Tadjikistan und der mangelnden Einkaufsmöglichkeit kommt dieses Geschäft schon fast einem Supermarkt gleich. Auf ca. 8 m² findet man hier neben Keksen auch etwas Obst, Gemüse und Eis.

Früh gehen wir am Abend beruhigt schlafen, denn unsere ersten Recherchen über den Grenzübergang nach China haben ergeben, dass der Pass ins „Reich der Mitte“ für Ausländer geöffnet ist. Reiner möchte mit einem Freund von Osh – wohin wir als nächstes fahren – über den Irkeshtam-Pass nach Kashgar fahren und dann von dort mit dem Bus wahrscheinlich direkt nach Süd-China. Da ich mein 90-Tage-Visum komplett ausnutzen kann, werde ich wohl die gesamte Strecke mit dem Fahrrad zurücklegen, was eine Trennung unausweichlich macht. Ich ringe mit mir, ob ich mich bis Kashgar anschließen soll oder über Osh weiter auf schlechten Straßen in Richtung Bishkek, Kasachstan nach China einreise.

Seit Samarkand hatten wir häufiger den Schweizer Rolf getroffen, der auch in meine Richtung bis Singapur fahren wollte. Nach erfolgreichem Email-Kontakt stellt sich heraus, dass der Grenzübergang bei Urumqi im Norden auch nicht einfacher ist als bei Kashgar. Da er aus Osh zurück nach Sary Tash fährt, beschließen wir uns auf dem Weg zu treffen und dann gemeinsam nach China einzureisen und zu schauen, wie lange wir es zusammen
aushalten.

Ein letzter Tag mit Reiner bricht nach über zwei Monaten an. Es war eine lange und sehr extreme Zeit für mich. Im Nachhinein großes Glück jemanden gefunden zu haben, der zu meinem Reisestil passt und mit dem man sich gut versteht. Der letzte Tag ist dafür auch nochmal ganz besonders. Wir erklimmen nach 500 Höhenmetern den Taldyk-Pass (3615 m) von dem aus es nahezu nur noch nach unten geht. Es ist eine steile und kurvenreiche Serpentinen -Abfahrt, die über 15 Kilometer anhält. Sie führt entlang kleiner
Jurten-Dörfer und Pferde-Herden immer weiter hinein ins Tal. Es ist überwältigend durch diese Region zu fahren, die Lust auf mehr macht.

Nach einem Zwischenstopp im Restaurant folgen wir einem kleinen Gebirgsfluss, der sich durch die hügelige Landschaft schlängelt, die manchmal stark an die Dolomiten erinnert. Gepaart mit der zentralasiatischen Lebensweise und Andersartigkeit ergibt das alles ein nicht vorstellbares Bild, wenn man nie in diesen Regionen gewesen war. Kleine Kinder reiten dir wie selbstverständlich auf Eseln entgegen, das ganze Leben spielt sich in kleinen Dimensionen ab und man reist in wenigen Tagen wahrscheinlich weiter als die Menschen in ihrem ganzen Leben. Wir durchfahren das herrlich fruchtbare Tal, machen Mittag an einer frischen Wasserquelle und finden früh abends eine ebene Wiese, auf der wir unser Zelt aufbauen und die gemeinsame Zeit nochmal Revue passieren lassen.

Am nächsten Morgen treffen wir dann auf Rolf, sitzen noch kurz zusammen, bevor ich mit ihm zurück nach Sary Tash fahre, während Reiner Osh anvisiert. Das Tal erscheint dieses Mal in einem anderen Licht. Das Wetter ist nicht mehr so sonnig wie tags zuvor. Uns steht ein Anstieg von ungefähr 2000 Höhenmetern auf 80 Kilometern Länge bevor. Es wird mit 10°C echt richtig kalt und fängt dann auch noch an zu nieseln – kein schöner Start. Auf den letzten 8 Kilometern der kurvenreichen Serpentinenstraße mit 400 Höhenmetern sind die Beine müde, der Körper durchgeschwitzt und es ist durch die Nässe eisig kalt.

Ein Pickup stoppt und nimmt uns dankenswerterweise die letzten Kilometer bis zum Pass mit, was uns 2 Stunden Schiebe-und Tret-Arbeit am Hang erspart. Auf dem Pass sehen wir zwei Kinder auf Eseln sitzen, deren Haut durch die Sonne starke Verbrennungen aufweist. Hier zu leben heißt seinen Körper in jungen Jahren stark zu verbrauchen, was man den Menschen echt ansieht. Noch während der Dämmerung kommen wir frierend in Sary Tash an und quartieren uns wieder bei der netten Hotel-Familie ein, bevor wir dann am nächsten Morgen frohen Herzens in Richtung China aufbrechen. Das sonnige Wetter spielt nach drei wechselhaften Tagen endlich wieder mit.

Entlang eines breiten Tals geht es neben schneebedeckten 6000ern die gut ausgebaute Straße nach Osten. Es ist der schönste Gebirgszug, den ich bisher auf meiner Reise gesehen habe. Die Steigungen sind auch deutlich leichter zu erfahren als angenommen und der letzte Pass auf kirgisischer Seite lässt sich bei schönstem Wetter und viel Zeit angenehm erfahren. Wir beschließen sogar nochmal auf schlechter Straße dem Verkehr etwas auszuweichen und fahren etwa 15 Kilometer durch entlegenere Täler, in denen überraschenderweise auch Menschen in Jurten leben. Wir finden einen gut versteckten Schlafplatz kurz vor der chinesischen Grenze und ich verbringe meine vierte und letzte Nacht in Kirgisistan.

In diesem Moment bin ich mir sicher, dass ich irgendwann zurück kommen werde, um dieses Land genauer kennen zulernen. Es hat durch seine landschaftliche Schönheit so geglänzt, dass ich es schon fast bedauere nicht längere Zeit in diesem Land verbracht zu haben. Doch die Entscheidung nun nach China einzureisen war definitiv richtig. Nach meinen Erfahrungen in Tadjikistan wollte ich nun endgültig Zentralasien und deren schlechten Straßen hinter mir lassen und wieder mehr Nahrungsangebote und Vielfalt genießen.

Ich hatte das Glück nahezu nur Asphaltstraßen zu fahren, die erst vor wenigen Jahren durch ausländische Geldmittel finanziert werden konnten. Der Rest des Landes hat zum Teil noch schlimmere Pisten als in Tadjikistan und dafür war ich nicht mehr zu begeistern. Ich hatte das Vergnügen zur besten Reisezeit in diesem Land unterwegs gewesen zu sein, hatte so viele schöne Seiten gesehen ohne etwas von den erschwerlichen Lebensbedingungen im Winter mitzubekommen, der hier wohl über 8 Monate im Jahr zuhause ist. Um ein ordentliches Kontrastprogramm zu erleben, heißt es nach den wenigen, meist kalten Tagen in Kirgisistan auf wärmere Gefilde zu blicken und entlang der riesigen Taklamakan-Wüste Chinas weiter nach Osten vorzudringen.

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