Vietnam: 27.10. – 19.11.2014

Vietnam – das war wohl nichts!

Noch in China hatten wir das erste Mal den Pazifik mit eigenen Augen gesehen. Es war ein unglaubliches Gefühl an das andere Ende „unserer“ Landmasse zu stoßen und von nun an nicht mehr gegen Osten, sondern nach Süden hin zum Äquator zu radeln. Wir befanden uns mittlerweile auf selber Höhe mit Afrika und fuhren nun Tag für Tag dem Sommer entgegen. Unser eifriger Plan, dem Winter zu entkommen und endlich im trockenen Vietnam ein wenig vom Paradies zu erleben, wurde jedoch schon nach wenigen Tagen in ein rechtes Licht gerückt.

Zu viert überquerten wir nach knapp drei Monaten die Grenze am Pazifik, die das „Reich der Mitte“ von den Kulturen Südost-Asiens trennte. Im Hinterkopf hatte ich noch die langen Grenzprozeduren von damals, doch dieses Mal schien alles leichter zu sein.

Mit ein Grund hierfür war meine Gepäckumgestaltung. Seit Nanning belasten 10kg weniger Gepäck meine Waden, sodass ich auf die beiden Vorderradtaschen verzichten konnte. Mit „China Post“ schickte ich den ganzen überflüssigen Krämpel zu einer Freundin nach Peking – das Päckchen sollte dort bis heute nicht ankommen. Doch nach langen Überlegungen war diese Grundoptimierung die richtige Entscheidung, gerade in Anbetracht der bald anstehenden Flüge. Es ist kaum zu glauben mit wie wenig Gepäck man auskommt und überleben kann, ohne dabei auf die autarke Versorgung zu verzichten. Nur noch zwei Gepäcktaschen, plus Lenkertasche und Zelt lassen mich mittlerweile schön leicht aussehen.

Ein letztes Mal gebratene Nudeln in China essen, die letzten Yuan ausgeben oder in Vietnam zu „Dongs“ tauschen und schon ist man bereit für ein neues Land, dass zwar in unserer Vorstellung die Fortsetzung Chinas wird, doch man wird sich überraschen lassen.

Wir befinden uns noch immer in der Grenzstadt Mong Cai als sich alle Himmelstüren öffnen und uns mit dem ersten großen Tropenregen konfrontieren. Direkt bei der Bank an der ersten Kreuzung kommen wir trocken unter, doch das Abfluss-System ist überfordert und schon wenige Minuten später steht das Wasser schuhhoch auf der Straße. Weit fahren werden wir wohl heute nicht mehr, doch so plötzlich wie das Wasser kam, ist es auch wieder verschwunden. Gelegenheit endlich loszulegen und die ersten Eindrücke zu sammeln.

Davon gibt es sogar überraschend viele. Es sind keine Hochhäuser mehr zu sehen, es gibt gestaltete Bürgersteige und die Häuser glänzen im Kolonial-Stil. Selten höher als 10 Meter, geben sie einem freien Raum und Luft zum Atmen. Das Straßenbild ist farbenfroher und anstelle von Krach klingt Musik in unseren Ohren. Die Menschen begrüßen uns freundlich und es macht unglaublichen Spaß hier angekommen zu sein und nach Monaten ohne richtige Teigwaren die ersten Baguettes zu essen. Dazu wird überall Cafe angeboten, die Franzosen haben diese Region wirklich mitgeprägt. Auch die Schrift hat sich gewandelt. Es gibt keine undefinierbaren Zeichen mehr, wir können endlich lesen, obwohl wir nichts verstehen. Vieles scheint anders zu sein als in China und Veränderung tut gut.

In der Nacht stellen wir unweit der Straße hinter hohen Gräsern im Sichtschutz unsere Zelte auf. Doch der sintflutartige Regen vom Mittag hat noch nicht genug. Abends ist wieder Himmelstüren-Öffnungszeit und unser vermeintlich ideale Zeltplatz verwandelt sich zunächst in einen Fluss, später in einen See. Wir saufen richtig ab, doch es ist wenigstens warm. Hinzu kommt ein bedrohliches Gewitter, das unsere Gesichtsschatten immer wieder auf die Zeltwand projiziert – die Pazifik-Blitze schlagen nur unweit von uns ein und der grollende Donner ist noch lange im Nachhinein zu hören.

Nicht mehr nur feucht, sondern nass und dreckig ist unser Gepäck am nächsten Morgen. Wir packen unmotiviert alles zusammen, zum Glück können wir solche Momente gemeinsam erleben. Das hilft ungemein! „Was nass ist, trocknet. Was dreckig ist, wird sauber“, sagen wir uns. Es hilft tatsächlich, denn schon am Mittag haben wir das Glück wenige Sonnenstunden auszunutzen und zumindest den ersten Satz wahr werden zu lassen. Am selben Abend fragen wir bei einem LKW-Restaurant mit Vordach an, ob wir auf der trockenen Betonfläche zelten dürfen und freuen uns alles richtig gemacht zu haben, als wieder Öffnungszeit am Himmel ist. Mitten in Mangroven-Wäldern gelegen, wird dieser Abend mit seinem stimmungsvollen Ambiente unvergessen – genau wie die Nacht. Denn im 90-Minuten-Rhythmus erreichen haufenweise knatternde Mopeds das Restaurant, deren Besitzer mit dem Bus wenig später weggefahren werden. Immer wieder Lärm und glotzende Menschen rauben uns den Schlaf, immerhin liegen wir im Trockenen. Es ist die zweite Nacht, in der wir uns nicht erholen können, entsprechend träge geht es am nächsten morgen weiter.

Nur noch 100 Kilometer sind es bis zur paradiesischen Halong-Bucht, doch Heiner und seine Schauspiel-Kollegin wollen ein paar Nächte an einer nicht so touristischen Bucht verbringen. Da sie erst Mitte Dezember in Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon) sein müssen, haben wir zeitliche Differenzen. Ich will mich zu diesem Termin schon 3000 Kilometer weiter in Malaysia befinden und da das Wetter nicht so richtig mitspielt, zählt nur eins – weiter. Nach den wenigen gemeinsamen, aber echt „entspannten“ Tagen steht nun wieder eine Trennung an. Zur Freude entscheidet sich aber Siegfried mich zu begleiten, wir werden nun also erneut als Zweiergespann die Herausforderungen des Alltags überstehen.

Nicht zu unterschätzen ist der chaotische Verkehr, der sich entlang der wenigen Straßen zieht. Die Busfahrer sind die schlimmsten Verkehrsteilnehmer. Als echte Tyrannen hupen sie alles von der Straße, doch auch die LKW-Fahrer (meist in amerikansichen Trucks) sind nicht viel besser. Viel Platz bleibt selten, irgendwie kommt man aber durch. Einen Erklärungsversuch der Fahrweise entwickeln wir in den kleinen Suppenküchen am Straßenrand, in denen zu früher Stunde Schnaps getrunken und Bongs durchgezogen werden, die zum Standard-Repertoire der Restaurants zählen. Als uns auch noch ein Polizist vom Nachbartisch Gläschen und Rohr anbietet, ist mir alles klar. Irgendwoher muss ja die erschreckend hohe Zahl mit 12000 Verkehrstoten pro Jahr herkommen, so dass Vietnam relativ gesehen mit als gefährlichstes Land der Welt zählt. Nach dem Iran und China dachte ich, dass mich nichts mehr aus der Ruhe bringen würde, doch die Vietnamesen haben es geschafft.

Der Verkehr ist respektloser, schneller und unverschämter als irgendwo anders. Ständig muss man top konzentriert sein, denn es geht ums eigene Überleben, ein Überlebenskampf, der bei einer Unachtsamkeit schnell verloren sein kann. Häufiger werden wir mit Unfällen konfrontiert, sehen Trucks neben der Straße oder in Häusern stecken, sehen Menschen auf der Straße liegen und eben noch lebende Tiere ohne ein Zucken platt gefahren. Bremsen gibt es nicht und da mittlerweile niemand mehr Fahrrad fährt, sind die Geschwindigkeiten gewachsen ohne dass ein Gefühl für Leben oder Maschine existiert. Gebt also bloß kein Auto in die Hand der Vietnamesen, die Straßen sind mit Mopeds sowieso überfüllt und einem „sicheren“ Passieren des Landes würde es schnell schaden. Erst in der Fahrweise des Autos zeigt sich der wahre Charakter der Asiaten, besonders der Vietnamesen.

Genauso rücksichtlos wie im Straßenverkehr, sind sie auch bei der allabendlichen Zeltplatzsuche. Gastfreundschaft bekommen wir nicht zu spüren, werden überall abgelehnt und bauen schließlich unser Zelt im Dunklen auf den schmalen Dämmen der Reisfelder auf, um am nächsten Morgen bei Tagesanbruch wieder zu verschwinden. Wirklich Willkommen fühlen wir uns nicht. Hinzu kommt eine weitere Verschärfung des Müllproblems, dass ich nicht auf die Armut der Menschen schieben möchte. Es ist Erziehungs- und Charaktersache, ob und wie mit Müll umgegangen wird. Große Müllsäcke werden von Privatpersonen einfach über Brücken in Flüsse geworfen – aus den Augen, aus dem Sinn. Selbst die Halongbucht und die vielen Strände machen keine Ausnahme. Überall Dreck, Plastik und Müll. Die Strände hier laden schon allein dadurch nicht zum Verweilen ein, das Paradies sieht anders aus. Nur ein kleiner Abschnitt der Halongbucbt wird täglich von Müllbooten auf dem Wasser und ganzen Fege-Kolonnen zu Land touristisch sauber gehalten. Wir kennen alle diese atemberaubenden Bilder der Touristenindustrie, doch die Realität sieht anders aus, besonders wenn man mit dem Fahrrad fährt.

Zwei Nächte bevor wir Hanoi erreichen, schlafen wir auf einem traumhaften Felsen über den Dächern Halongs und haben einen unvergesslichen Sonnenuntergang über der Bucht. Doch so viel Glück haben wir selten, denn meist sind wir mitten unter Menschen und da sie uns nicht willkommen heißen, müssen wir sehen, wo wir unterkommen. Da kommt eines abends die rettende katholische Kirche gerade recht. Wir haben die Erlaubnis auf dem Grundstück unser Zelt aufzubauen. Es ist bereits dunkel, als es sich der Pfarrer nochmal anders überlegt, er will, dass wir verschwinden und ruft einen Freund an, der mir auf Englisch irgendwas von drogenabhängigen gefährlichen Leuten überall in Vietnam erzählt und noch etwas von Polizei und dass es auf dem Gelände nicht gehen wird. Von der Kirche im Stich gelassen, vom Pfarrer des Daches beraubt. Keine Ahnung welcher Vogel ihm ins Hirn gezwitschert hat. In diesem Moment schließe ich mit der Kirche ab, unmenschlich und protzig ist sie hier. Mit Glaube und Verantwortung hat das alles nichts mehr zu tun. Heraus ins Dunkle zu den Drogenabhängigen und dem totbringenden Verkehr werden wir geschmissen – vielen Dank auch!

Uns bleibt nur die erneute Flucht in die Reisfelder. Wir kommen an einem verlassenen Haus vorbei, sieht nach all dem „Geschiss“ nach einem Drogenumschlagsplatz aus, hier bleiben wir nicht und schieben noch 500 Meter weiter erneut auf einen schmalen Damm. Gerade als ich ins Zelt gehen will, nehme ich bei dem alten Haus drei Taschenlampen war, die das Gelände absuchen. Das Muss die Drogengang sein, die das Gelände nach uns absucht. Still sitzen wir vor dem Zelt, haben die Räder hingelegt und hoffen, dass sie uns nicht finden. Das Gelände um das Haus ist abgesucht, nun laufen sie entlang der Dämme und kommen Minute, um Minute näher. Was ein Pech, was hat die Kirche nur mit uns gemacht? Unser letztes Stündchen hat geschlagen, ein Entkommen ist nicht mehr möglich und schließlich holen uns die Taschenlampen ein. Es sind aber nur friedliche Fischer, die nachts irgendwas aus den Reisfeldern fangen. Die Nacht ist jedoch wieder nicht zum Ruhen bestimmt, viel zu viel Missmut und Angst hat die Kirche geschürrt.

„Onkel Ho“, sprich Ho Chi Minhs Leichnam, der „Mao Vietnams“ ist nämlich zur Zeit in Russland, um seine jährliche Erneuerung zu bekommen, sein Auge wacht während dieser Zeit wohl nicht auf uns und seine Kinder. Jeder scheint zu machen, was er will und was für ihn am Besten ist. Am schlimmsten sind die rotzfrechen Kinder, die dem neuen Hang zum Kapitalismus verfallen und uns ständig mit schrägen Bemerkungen von der Seite belästigen und dann feixen, teilweise betteln sie frech nach Geld. Sie sprechen aber wohl nur aus, was die Erwachsen denken. „Wir sind lebendig herumlaufendes Geld, keine Mitmenschen, sondern geldliefernde Masse.“ So kommen wir uns häufig vor. Das Interesse ist nur gespielt, sobald wir etwas von ihnen wollen, winken sie ab. Sie wollen durch uns schnell reich werden, aber geben gibts nicht.

Oftmals habe ich das Gefühl, dass sie ihre Opferrolle des Krieges zur persönlichen Bereicherung ausnutzen. So wollen sie vielleicht teilweise gesehen werden, doch „keiner ist, was er sagt und erst recht nicht, was er darstellt“ wie Siegfried immer sagt. Im Krieg wurde die Stadt Vinh durch die Amerikaner komplett zerstört und zählte offiziell 0 Einwohner. Heute scheint alles vergessen, vielmehr zeigt sich die Sinnlosigkeit des Krieges. Trotz amerikanischer „Niederlage“ tragen die vietnamesischen Kinder Amerika-Kappen und Flaggen auf ihren Ränzen. Auf die verführerischen Statussymbole Amerikas und des Kapitalismus mit seiner Sucht zum Konsumieren will hier keiner verzichten. Man sieht sich selbst als das Größte. „Vietnam Nummer Eins“ und „Very Good Vietnam“ sind die Sprüche, die man sich anhören muss. Dieser Kontrast der eigenen Identität lässt sich für mich nicht erklären, doch eine eigene Identität ist nach der Kolonialisierung Frankreichs, dem Krieg, dem Kommunismus und dem heutigen Drang zum Kapitalismus eigentlich auch nicht abzulesen.

Im Verkehr benehmen sie sich wie Affen und im Geschäft wie miese Hunde. Nirgendwo stehen Preise, alles ist Verhandlungssache, was doch sehr anstrengend ist. Sie denken alle „Money, Money“, aber unsere Frage nach wie viel verstehen sie nicht. Wir sollen erst essen, dann kommt der Extrapreis, aber auf dieses Spiel lassen wir uns nur einmal ein. Hier bekommt man echt eine Lektion wie trickreich sie sich anstellen. Der verhandelte Preis zählt nicht mehr, der angeschriebene Preis ist nicht mehr aktuell, Einheimische zahlen Normalpreis und wir das Doppelte. So geht das jeden Morgen, jeden Abend und bei jedem noch so kleinen Einkauf. Nach einiger Zeit nervt es so sehr, dass wir einfach bei utopischen Preisen die Ware stehen lassen und wegfahren. Bezahlen machen wir nun auch immer im Vorhinein, dann gibt es hoffentlich keine Überraschungen mehr. Es ist nicht einfach nach drei Monaten China und transparenter Preispolitik ständig in Touristengebieten zu sein und sich damit herumzuärgern. Hinzu kommt noch das schlechte Wetter, es ist Regenzeit und teilweise fallen 40mm Regen an einem Tag.

Eines Abends sehen wir am Horizont ein gigantisches Gotteshaus von der untergehenden Sonne angestrahlt und beschließen einen kleinen Umweg zur Besichtigung zu machen. Es ist bereits spät geworden, Zeit sich mit der Kirche zu versöhnen. Pater Joe lässt uns in der gleichzeitigen Klosterschule übernachten, wir können endlich wieder richtig duschen und sogar nach einigem Hin und Her unseren Flug nach Australien buchen. Ein großer Schritt ist gemacht, denn nun steht der zeitliche Plan für Südost-Asien. Das Zelt kann in dieser Nacht endlich wieder trocknen und wir planen noch einen Abstecher in den Phong-Nha-Nationalpark ein, um endlich von der „Geldstraße“ wegzukommen und hoffentlich mehr Natur zu genießen und gleichzeitig noch die größte Trockenhöhle der Welt zu besichtigen. Die Paradieshöhle ist gigantisch und absolut sehenswert, wenn man schon mal in der Gegend ist.

Im direkten Kontrast besuchen wir einen Tag später beim Erreichen der damaligen „Entmilitarisiertrn Zone“ ein von Menschen gebautes Dorf-Tunnelsystem, in das sich bei Luftangriffen die Bewohner zurückzogen. Auf dem Weg dorthin werden wir wieder mit frechen Kindern konfrontiert, die mich vom Fahrrad reißen wollen, hämisch „Money, Money“ schreien, hinzu kommen kriegsgeschädigte oder behinderte Menschen, die sich ohne Scheu auf dein Geld stürzen. Der nächste Schritt wäre dann wohl der, dass sie uns ausrauben. Es macht wirklich keinen Spaß hier in Vietnam und wir fangen an uns nach Thailand bzw. Australien zu sehnen und wollen nun nur noch weg. Doch die drei großen „Sehenswürdigkeiten“-Städte Hue, Da Nang und Hoi An liegen noch vor uns.

Durch die alte Kaiserstadt Hue drehen wir nur eine kleine Runde, doch hier passiert es schließlich, was wir schon Tage vorher vorhergesehen haben. Der nächste Schritt ist ausgeraubt zu werden. Als ich gerade alleine auf einer öffentlichen Toilette bin, kommt ein Unbekannter von hinten und checkt mich blitzschnell aus. Ich kann gar nicht so schnell reagieren und bin so überrascht, dass der miese Hund schon weg ist, bevor ich das alles realisiere. Zum Glück hatte ich keine Wertsachen am Körper, sondern am Fahrrad bei Siegfried gelassen. Das wäre ja was gewesen. Vietnam wird mir immer unsympathischer.

Über den See-Wolkenpass, eine knapp 500 Meter hohe Erhebnung, gelangen wir nach DaNang. Bilderbuchmäßig schüttet es bei der Auffahrt kräftig. Viele Touristenbusse fahren an uns vorbei und als wir vollkommen durchnässt nach einer Stunde am Pass ankommen, stellen wir uns bei den herwinkenden Verkäufern unter. Doch als sie direkt anfangen uns ihre Perlenketten verkaufen zu wollen, ist mir sofort klar, dass die Geste keinem Stück von Nächstenliebe oder Mitmenschlichkeit diente – war ja eigentlich klar. Als wir daraufhin wieder in den Regen gehen (nass sind wir sowieso), wollen sie auch noch 1$ fürs kurze Unterstellen. Wir lachen nur und nehmen uns die Abfahrt vor.

Hier werden wir lustigerweise Zeuge des unglaublichen Wetterphänomens. Auf der Nordseite waren wir noch im Dauerregen hochgefahren, aber bei der Abfahrt hörten die Wolken plötzlich auf und die Sonne schien. Keine halbe Stunde später waren wir wieder trocken. Unglaublich.

Für eine knappe Woche schaffen wir es mit höchster Priorität unser Zelt immer irgendwo im Trockenen aufzustellen. Es ist mehr Arbeit, gerade in Vietnam. Doch bei einem abgeschlossenen Altenbetreuungsverein, einem Metallschuppen oder anderen trockenen Stellen werden wir fündig. Die Woche mit viel Starkregen zerrt an unseren Nerven. Das Radfahren macht keinen Spaß. Der Regen kommt teilweise periodenhaft, doch immer plötzlich. Mit der Zeit haben wir auch hier den Kniff raus, so dass wir auf unsere Tageskilometer kommen. Taktische Pausen sind das Zauberwort, den Regen aussitzen. Denn bei der schlechen Sicht auf der gefährlichen Straße zu sein, wäre reinste Selbstaufgabe.

Die Stadt „Hoi An“ ist touristisch überlaufen, ein Theater/ein Schauspiel für den, der es sich anschauen will. Wir fahren wieder nur kurz durch – nach Hue brauche ich keinen zweiten Überfall. Nach zwei wirklich harten Wochen biegen wir nach der Besichtigung endgültig von der A1 ab und kehren ihr den Rücken. Nun geht es immer in Richtung Westen zur Grenze nach Kambodscha und schließlich nach Bangkok. Auf den 200 Kilometern nach Pleiku müssen wir einiges in die Pedalen treten, denn es geht auf knapp 900 Meter hinauf. Zum Glück lässt der Regen Tritt für Tritt nach, denn wir verlassen die Küste und in Kambodscha fällt wohl Mitte November der letzte Niederschlag, was uns Hoffnung und Motivation gibt.

Doch auch hier ist der Verkehr schrecklich. Die Busfahrer fühlen sich wie die Größten, mit Warnblickern und mit Dauerhupe rauschen sie in den Gegenverkehr und pusten alles von der Straße. Selbst die entgegenkommenden! Autofahrer schneiden dich – ich sehe das laut fluchend als vorsätzlichen Angriff auf mein Leben. Am Straßenrand liegen Spielkarten mit bedruckter $-Rückseite, da weißt du was los ist. Sind hier denn wirklich alle bekloppt? Viele Vietnamesen denken sie wären die Größten. „Vietnam Number One“ – bei mir sind sie die Letzten. Als wir noch einen Beerdigungs-Autokorso eines jungen Vietnamesen sehen, wundert mich das überhaupt nicht. Hättet ihr mal vorher dran gedacht, wer so rücksichtslos fährt, braucht hier nicht zu trauern – da muss das Problem bei der Wurzel gepackt werden.

Selbst nach dem Verlassen der A1 ändert sich nicht allzuviel. Bei einer Tankstelle können wir das Zelt aufbauen. In der Nacht kommt ein LKW-Fahrer und hämmert bis 2 Uhr morgens kräftig an seinem Motor herum. Zuvor hatte er lautstark durch den Lüftungsschlitz in unser Zelt gebrüllt, so dass wir wach wurden. Bekloppt sind diese LKW-Fahrer, die tagsüber jedem ihren nackten Bauch ins Gesicht halten und wie die Größten herumplärren, rotzen und fahren. Widerlich diese Typen, Widerlich!

In unserer letzten Nacht wollen wir bei einem nicht benutzen Fahrzeugunterstand eines öffentlichen Gebäudes zelten, doch man lässt uns nicht. Asozial sind sie, ich will hier endlich raus. Wir haben schließlich keine Lust mehr zu fragen und zelten mit dem Risiko abzusaufen im Freien. In der Nacht wache ich im 90-Minuten-Takt auf und muss mich jedes Mal übergeben. Eine weitere schlaflose Nacht war das, ich bin außer Gefecht.

Selbstdiagnose: Lebensmittelvergiftung. Außerdem wackelt seit 2 Tagen mein Pedalarm, denn das verschleißte Innenlager hat großes radiales Spiel, wie lange es noch hält, weiß ich nicht. Nächste Reparaturmöglichkeit in Bangkok, das drückt zusätzlich auf den heißen Kopf. Wir beschließen einen Ruhetag einzulegen. Vietnam bin ich also noch nicht los, doch einen Tag später will ich nicht mehr warten. Müde und noch ein wenig erschöpft, schleppe ich mich weiter, bis es endlich soweit ist. Wir verlassen das Land auf einer seiner abgelegensten Grenzen und in dem Moment weiß ich, dass ich nicht mehr wiederkomme.

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