Türkei, Teil 3: 05.05. – 30.05.2014

Nevsehir und damit auch die beiden Couchsurfer Adil und Ceylan zu verlassen fiel uns beiden nicht leicht. Wir hatten so eine schöne Zeit mit ihnen verbracht und fühlten uns in ihrer Wohnung wohl. Am frühen Morgen hatten wir dann unser gesamtes Gepäck an den Rädern verstaut und waren bereit in Richtung Kayseri loszufahren.

Es war ein zufriedenstellendes Gefühl wieder auf den Rädern zu sitzen und durch die einzigartigen Landschaften Kappadokiens zu fahren. An einem wirklich atemberaubenden Platz machten wir dann halt, aßen unser Standard-Frühstück und nahmen uns die Zeit diesen Augenblick für immer ins Gedächtnis einzubrennen.

Ein Autofahrer stoppte uns auf dem Weg nach Kappadokien und bot uns an bei seinem Freund in der Nähe bei Kayseri zu übernachten, doch die Stadt Talas lag mit über 10 Kilometern zu weit von unserer Strecke entfernt, dass wir die 1-Millionen-Einwohner-Stadt schnell hinter uns ließen.

Abends fing es mal wieder an zu regnen, doch wir fanden einen verlassenen kleinen Shop. Innen war es sehr dreckig und es sah auch nicht wirklich freundlich aus, doch wir wussten nicht, ob noch etwas besseres kommen würde. Wir waren unschlüssig an diesem Ort zu bleiben oder noch weiterzufahren und stellten uns erstmal unter, um nicht nass zu werden.

Das war wohl eine gute Entscheidung, da kurze Zeit später aus dem Stockwerk oberhalb des Shops eine alte Frau herauskam, um ihr Trinkwasser in einem Kanister nachzufüllen. Wir liefen zu ihr und wollten die Genehmigung fürs Übernachten einholen, doch sie sprach nur unverständliches Zeugs und verstand unsere einfachsten Gesten nicht. Sie wedelte die ganze Zeit mit ihrem Krückstock umher und war für uns eine Nummer zu verrückt, so dass wir sehr schnell aufbrachen, um einen anderen Platz zu suchen.

Nach nicht allzu langer Zeit fanden wir dann sogar auf der anderen Straßenseite ein verlassenes altes Restaurant, in dem wir sofort unsere Fahrräder parken konnten. Wir kochten gerade unseren Nudelpot, als draußen zwei Männer und Frauen erschienen. Die beiden Männer sahen uns und kamen direkt ins Restaurant. Sie sprachen zwar kein Englisch, aber wir verstanden, dass sie die Besitzer waren. Wir gestikulierten unsere Absicht und es war dankenswerterweise kein Problem für die beiden eine Nacht in ihrem verlassenen Restaurant zu verbringen. Sie grillten draußen auf der Terrasse und luden uns zum Essen ein, doch wir hatten in der Zwischenzeit schon unseren Pot geleert und gingen recht bald schlafen. Am nächsten Morgen waren sie verschwunden, nur das dreckige Geschirr war noch Zeuge ihrer nächtlichen Grillparty.

Zwei Pässe und 200 Kilometer bis nach Sivas lagen noch vor uns und da wir gegen 15 Uhr schon den ersten Pass erzwungen hatten und an der Straßenseite ein leerstehendes Haus entdeckten, beschlossen wir an diesem Tag mal ungewöhnlich früh Feierabend zu machen. Wir teilten uns die Baustelle mit ein paar Vögeln, die ihr Nest im Haus errichtet hatten, was am Abend und in der Nacht zu heftigen Diskussionen auf Vogelseite führte.

Wir schliefen aber nach einiger Weile ein und konnten uns dann am nächsten Tag auf den Weg nach Sivas machen, wo wir bei Adils Freund Murrat unterkommen konnten. Da er in der Universität aber eine Feier hatte, meldete er sich erst sehr spät. Wir waren in dieser Zeit durch Gewitter und Regen gezwungen, Schutz in einer Tankstelle zu finden und hatten auch schon die Erlaubnis dort zu übernachten. Es war dunkel geworden, als Murrat uns dann aber doch noch nach Sivas beorderte und so fuhren wir die letzten 10 Kilometer bei völliger Dunkelheit aber mit vollzähliger Lichtausrüstung ins Zentrum ein.

Murrat war Dozent für Computer-Management aus Leidenschaft und pflegte einen sehr intensiven Kontakt zu seinen Studenten. Er vermittelte uns an Oguz, einen seiner besten Studenten weiter, nachdem wir gemeinsam mit ihnen Sivas-Köfte gegessen hatten. Der Abend war wirklich gesellig und interessant, da wir weitere Studenten kennen lernten, Türkisch-Unterricht bekamen und viel über unsere Kulturen und Glaubensrichtungen, aber auch den Alltag der Studenten sprachen. Wir kamen insgesamt drei Nächte bei Oguz unter, was für beide Seiten sehr fördernd war. Er wollte einen Erasmus-Austausch in Dänemark oder Portugal machen und praktizierte mit uns Englisch, wir lernten wiederum die Stadt auf eine komplett andere Weise kennen. Sie führten uns zu den Sehenswürdigkeiten, zeigten uns die besten Restaurants und gaben uns einen Einblick in ihr Studentenprojekt – eine neue Art eines Social-Networks, das sie im Sommer fertigprogrammieren wollen.

Wir fühlten uns in Sivas, einer alten Seidenstraßen-Stadt, sehr wohl und brachen mal wieder schweren Herzens in Richtung Erzincan auf. Unterwegs trafen wir Martin aus der Schweiz, der mit dem Liegerad von Dubai zurück nachhause fuhr und nur so vom Iran schwärmte. Das machte Lust auf mehr und wir lenkten uns bei den unzähligen Steigungen und Gegenwind mit den Erwartungen an den Iran ab.

Am frühen Abend stoppten wir dann bei einer privaten Tankstelle und kamen in einem alten Dachstuhl unter. Es war trocken und warm genug, nur die nächtlichen Geräusche einer Maus störten unsere wohl verdiente Nachtruhe. Wir brachen am nächsten Morgen sehr früh auf und hatten mal wieder etliche Steigungen und Pässe mit knapp 2200 Metern Höhe vor uns – willkommen in der bergigen Türkei. Landschaftlich war es dafür umwerfend und wir nahmen uns die Zeit, sofern sich der Blick von der steilen Straße mal zur Seite richtete, um diese Naturkulisse zu bewundern. Die monotone Stimmung immer weiter den Berg hoch zukriechen wurde gegen Mittag von etlichen Autos unterbrochen, die mit deutschem Kennzeichen im Dreierpack über mehrere Stunden an uns vorbei fuhren. Völlig erschöpft erreichten wir am frühen Abend dann Erzincan, wo wir bei Ahmet einem Chirurgen unterkommen konnten, der uns medizinische Tipps gab und uns zeigte wie wir mit den riesigen Kangal-Hunden umzugehen haben. Bevor wir Erzincan erreichten, stoppten wir jedoch an einem Restaurant und hatten nun die Gelegenheit mit einem der Dreierteams zu sprechen. Insgesamt waren 111 Teams aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auf den Weg nach Jordanien, um die alten Autos für einen guten Zweck zu versteigern. Das Projekt Allgäu-Orient dauerte insgesamt drei Wochen und hatte in der Türkei Halbzeit erreicht.

Zwei Tage später wollten wir dann nach Erzurum kommen. Der erste Tag war endlich einmal ein wenig gemächlicher, da kein Pass vor uns lag. Nach circa 50 Kilometern kam uns ein Jogger entgegen. Wir stoppten, stellten uns vor und kamen ins Gespräch. Tony aus Irland war vor 3,5 Jahren aus Irland gestartet und joggte mit einem 2,5 Kilogramm-Rucksack um die Erde. Er sah echt fertig aus, hatte schon 45.000 Kilometer hinter sich und erreichte bald seinen 1000sten Joggertag. Mit ca. 50 km pro Tag waren es bei ihm 1000 Marathons mehr, im Vergleich zu meiner Marathon-Historie, die ich in meinem Leben gelaufen war.

Für mich war es unvorstellbar, wie man mit nur so wenig Gepäck so eine lange Zeit aushalten konnte. Die Berge verlangten am nächsten Tag mal wieder alles von uns ab, doch ich musste die ganze Zeit an Tony denken, der die Strecke gejoggt war und am Pass dann nicht das Rad den Berg herunterrollen lassen konnte, sondern wieder den gesamten Weg bergab joggen musste.

An diesem Tag war es dann auch schließlich soweit und ich bekam meinen ersten Platten nach ca. 4680 Kilometern. Da sich beim Schlauchwechseln noch keine Routine eingeschlichen hatte, dauerte es insgesamt eine Stunde bis alles erledigt war. Zum Glück schien die Sonne an diesem Tag und wir wussten, dass wir am Abend bei Ferdi aus Erzurum unterkommen und dort alles reinigen konnten.

Am ersten Abend schliefen wir bei seinem Freund und hatten einen spannenden Abend mit über 9 Kurden, die in diesem Haus wohnten. Wir aßen zusammen, tanzten traditionelle türkische Schrittfolgen im Kurdisch-, Ankara- oder Kein-Bock-Stil, machten Späße und lernten die ersten kurdischen Wörter. Erst spät fielen wir erschöpft ins Bett bevor wir am folgenden Tag das iranische Visum für Cheuk und meinen Reisepass von der Post abholen mussten. Es war zunächst nicht einfach die iranische Botschaft zu finden, Cheuk konnte aber schließlich eintreten und kam nach 20 Minuten wieder heraus – ohne Erfolg. Der Konsul wollte ihm kein Visum ohne entsprechenden Einladungscode geben. Das hieß für uns nun 3 weitere Pausentage in Erzurum, die wir glücklicherweise in der WG von Ferdi verbringen konnten.

Meinen Reisepass konnten wir in der Zentrale der Post auch nicht abholen, sondern sollten ans andere Ende der 400.000-Einwohner-Stadt fahren, um dort nach dem Brief zu fragen. Sie erzählten uns, dass dort rund um die Uhr offen sei und so fuhren wir am nächsten Tag in einer 3-Stunden-Odyssee durch Erzurum, um zu erfahren, dass das Postamt zwar immer geöffnet ist, aber am Wochenende niemand dort arbeitet. Zu unserem Pech war am Montag, dem 19.5. auch noch Nationalfeiertag, weshalb wir erst am Dienstag zur Post zurückkommen konnten. Cheuk konnte das Wochenende auch nicht weiter nutzen, um mit dem Visum weiterzukommen und so saßen wir nach 4 Tagen in Erzurum immer noch ohne sichtbaren Erfolg fest.

In der Zwischenzeit zeigte uns Ferdi die Stadt, führte uns zur alten Burg, zeigte uns alte Seidenstraßen-Moscheen und stellte uns seinen Freunden vor. Wir konnten die Zeit zum Entspannen nutzen, erledigten Bürokram, aber die Lösung unserer Probleme schien nicht in Sicht.

Cheuk beschloss deshalb 6 Stunden mit dem Bus nach Trabson zu fahren, um dort sein Iran-Visum zu bekommen, während ich in Erzurum bleiben musste, um meinen Brief bei der Post abzuholen. Obwohl per Einschreiben und postlagernd gesendet, wollte das Postamt von Erzurum den Brief am Dienstag schon wieder nach Deutschland zurückschicken, was wir gerade noch so verhindern konnten. Am Nachmittag war es dann endlich soweit und ich hielt mein Reisepass mit iranischem und usbekischem Visum in der Hand.

Jetzt musste nur noch Cheuk erfolgreich sein Visum beantragen, damit unsere Reise weitergehen konnte. Es dauerte schließlich 3 weitere Tage bis er wieder zurück nach Erzurum kam. Ich nutzte die Zeit, um die Universität besser kennen zulernen, an einer 1:3-Baukonstruktion-Abschlussarbeit mitzubauen und in der Sprachenfakultät mit einem Englischprofessor und einer Deutsch-Dozentin ins Gespräch zu kommen.

Am Ende war ich für neun Nächte bei Ferdi, Selman und Mehmet Ali in der WG untergekommen, hatte alles von Erzurum gesehen, so dass es langsam echt mal wieder Zeit wurde aufs Fahrrad zu steigen.

Bei strömenden Regen verließen wir Erzurum und wollten eigentlich in zwei Tagen nach Agri fahren, doch unsere Pläne änderten sich durch das Wetter. Über 2 Stunden verbrachten wir noch in der Stadt, um Vorräte einzukaufen und Dollar abzuheben. Das Einkaufen war schnell erledigt, aber das Geldabheben verlief ohne Erfolg. Zwei Automaten waren kaputt, zwei hatten keine Dollar bzw. Euro mehr und der fünfte wollte auch nicht so richtig, so dass ich ohne Dollar in der Tasche in Richtung Iran aufbrach. Meine Hoffnung war nun in Agri bzw. Dogubayazit Automaten zu finden, die mir vielleicht ein paar Scheinchen überlassen würden.

Um 8.00 Uhr aufgestanden, um 16.15 Uhr dann endlich Erzurum verlassen. Kein Wunder, dass wir unsere Pläne überdachten und nun nur nach einem trockenen Schlafplatz Ausschau halten wollten. Nach 23 Kilometern war es dann soweit und wir sahen eine Tankstelle, die draußen überdachte kleine Hütten besaß. Es war kein Problem dort zu campen und so begannen wir vor dem Zeltaufbauen zu kochen. Es wurde immer kälter und als es bereits dämmerte kam ein Angestellter vorbei und lud uns zum Cay ein und erlaubte uns im Restaurant zu schlafen, da es draußen ja viel zu kalt sei.

Wir nahmen das Angebot an und tranken in Ruhe unseren Tee, als ein jugendlicher Mitarbeiter mich nebenan in einen kleinen Raum führte. Ich traute meinen Augen nicht, dort waren zwei Betten vorhanden, die wir in dieser Nacht benutzen durften. Was für ein Glück, was für eine Steigerung: vom Zelten im Regen, zum Zelten mit Holzdach, zum Schlafen im Restaurant bis hin zum eigenen Zimmer mit Bett, Heizung und WLAN. Es leben die Tankstellen in der Türkei!

Die Reise durch die Türkei bis kurz hinter Erzurum war von durchweg positiven Erfahrungen geprägt, doch das sollte sich nun ändern. Wie auch schon in Bulgarien begann nun in der Türkei der schwierige Abschnitt mit nicht mehr nur aggressiven Hunden, sondern auch bettelnden Kindern, die hier aber zusätzlich mit Steinen warfen, wenn man ihrer Aufforderung nach „Money, Money“ nicht gerecht wurde. Wir versuchten uns mit ihnen jeweils zu unterhalten, aber sie waren rotzfrech, plapperten uns alles nach und wiederholten immer wieder ihre Bitte nach „Money, Money“. Ich hatte das Gefühl, dass die Eltern sie bewusst darauf ansetzten, da kurz vor Dogubayazit ein Bus vor uns hielt, 5 Kinder raussprangen – noch ihr Frühstück in der Hand – und auf uns zustürmten. Schlecht konnte es ihnen aber nicht gehen, da sie ihr Brot in den Dreck warfen, um ihre Hände nach Geld auszustrecken.

Nach den angeflogenen Steinen zum Abschied war es wie beim Thema „Wind oder Regen“ jeweils schwer zu sagen, ob nun ein aggressiver Hund oder Steine werfendes Kind schlimmer war. Kurz vor Agri wurden wir nämlich mal wieder von einer Horde von Hunden angegriffen, die wohl zu einer Militärbasis gehörten. Nur knapp entkamen wir den Bestien und waren froh in dieser Nacht in einer Bauhütte in Betten schlafen zu können, da wir so sowohl vor den Hunden als auch vor den heftigen Gewittern sicher waren, die nun eine Woche andauern sollten. In Agri kamen wir schließlich wieder bei Couchsurfern unter und verbrachten zwei wundervolle Tage dort. Dollars konnte ich aber nicht bei der Bank abheben, da sie wohl ihre ATM-Politik verändert hatten, so dass ich Euro zu Türkischen Lira, TL zu Dollar und Dollar im Iran zu Rial tauschen musste. Als wir am zweiten Tag dann nach Dogubayazit aufbrachen, kam sogar noch der Präsident Erdogan zu einem Besuch in der Stadt vorbei, wohl um uns zu verabschieden, aber wir mussten schon früh losfahren, um nicht in die Gewitterfront zu kommen.

In Dogubayazit schliefen wir zwei Nächte bei einem Reiseunternehmer und hatten so genug Zeit die letzten Dollar zu tauschen, den Arche-Noah-Ararat zu sehen und zum 6 km entfernten Palast zu laufen, bevor es dann in Richtung Grenze gehen konnte. Auf dem Weg zum Palast schloss sich uns ein friedlicher Hund an, der mich aber auf dem Rückweg im Stich ließ und sich verdrückte als 3 kläffende Hunde auftauchten. Für uns war es wohl nun auch Zeit sich nach 1,5 Monaten aus der Türkei zu verdrücken und wieder ein neues Land kennen zulernen, in dem es wohl keine Hunde mehr geben soll.

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