Von der chinesischen Mauer über „Tibet“ bis zur Tonkrieger-Armee
Die chinesische Regierung hatte einige Jahre zuvor das Internet in Xinjiang für ca. 10 Monate abgestellt, kaum zu glauben, doch nach Emailkontakt mit Reiner gab es Hoffnung, dass Google und besonders WordPress in der neuen Provinz Gansu wieder benutzbar seien. Ich glaubte schon an eine Ende der Zensuren und anfänglich sprach vieles für ein offeneres China. Die Straßenschilder waren nicht mehr nur chinesisch und arabisch beschriftet, sondern mit dem Verlassen der Uiguren-Region nun mit chinesischen und englischen Lettern bestückt. Endlich konnte man verstehen, was die Schilder bedeuteten und zu was für Sehenswürdigkeiten und Orten sie führten.
Doch allzuviel änderte sich nicht. Das was blieb war die trockene Hitze, der Gegenwind und die Wüste. 500 Kilometer fuhren wir noch in unserer Vierer-Gruppe weiter und kamen nach fast 3000 Kilometern Wüste an die symbolische Grenze Chinas – die Chinesische Mauer in Jianyuguan. Mit seiner Festung galt dieser Ort als der entlegenste Standort des historischen Chinas, denn draußen am Rande der Wüste Gobi lebten damals die Entrechteten, Verbrecher und Barbaren, wir jedoch waren absofort Teil der „zivilisierten“ Kultur.
Die Chinesen essen ohne erkannbare Esskultur, rotzen und spucken im Minuten-Takt und die öffentlichen Toiletten ekeln ganz schön. Die Chinesen legen keinen Wert auf Sauberkeit, machen Dreck und mögen Gestank – so kommt es mir manchmal vor, wenn jemand vor mir seinen Naseninhalt nach kräftigem lautstarken Hochziehen vor die Füße spuckt. Die öffentlichen Blumsklos sind nach kurzer Inspektion eher so zu verstehen, dass man ums anstatt ins Loch macht, den noch minuten-nachriechenden Gestank vermag ich an dieser Stelle nicht zu beschreiben.
Immerhin hat die Polizeipräsenz ein wenig nachgelassen, die Anti-Terror-Kampagne scheint hier nicht mehr aktiv zu sein und die Tankstellen gleichen auch keinem Hochsicherheitstrakt mehr. Begrüßt werden wir mit vielen Böllern, die zu tausenden in Reihe geschaltet oft in Straßengeschäften verkauft werden und eigentlich rund um die Uhr zu hören sind. Es gibt wohl immer etwas zu feiern oder mögen die Chinesen einfach nur den Krach? Es gibt viele Fragen, viele Sachen, die ich nicht verstehe, aber ich bin nach einem Monat durch die Wüste ja erst jetzt im wirklichen China angekommen. Ich gebe der Suche nach den Antworten erstmal noch mehr Zeit.
Auf dem Weg durch Gansu nach Zhangye kommen wir an vielen Windparks und ganzen Hochspannungs-Komplexen vorbei, die entlang der Autobahn aufgestellt sind. Die Chinesen scheinen tatsächlich viel Geld in erneuerbare Energien zu stecken, doch es ist auch ein Zeichen für die Stärke des Windes, wenn über hunderte von Kilometern zehntausende von Windrädern stehen und dieser dich ständig bremst.
Doch es ist eine willkommene Abwechslung endlich zu viert zu radeln, etwas langsamer voranzukommen und neue Gesprächspartner zu haben. Wir machen deutlich mehr Pause und nach über einem Monat Hetzerei durch die Wüste entspannt das doch die ganze Sache sehr. Wir finden teilweise traumhafte, entlegene Zeltplätze und bekommen nur ab und an Besuch von Skorpionen.
Je weiter wir in Richtung Osten vordringen desto grüner wird die Landschaft. Langsam verlassen wir die öde aber dennoch faszinierende Wüste. Es macht Laune den ersten Baum nach langer Zeit zu sehen, kleine Maisfelder und Blumenplantagen zu bewundern und all diese von Leben durchdrungenen Momente zu bestaunen.
In Zhangye trennt sich nach genau einem Monat unser gemeinsamer Weg dann schließlich. Rolf will alleine weiterreisen und mehr Zeit in den Städten verbringen, Siegfried und Heiner fahren nach Xian zur Terrakotta-Armee. Ich werde noch mit den beiden ein Stück weiter bis kurz vor Lanzhou fahren und dann nach Süden in Richtung Laos abbiegen während sie nach Vietnam wollen.
Nur noch zu dritt besuchen wir den mit über 34 Metern Länge größten schlafenden „Indoor“-Buddha Asiens. Da die Eintrittspreise in China recht hoch sind, gebe ich mich als Student aus und zeige meine Versichertenkarte als Ausweis vor, da dort niemand eine andere Sprache als chinesisch kann, wird dieser natürlich akzeptiert und ich spare mir die Hälfte des Eintritts, was noch viele Male in China klappen wird.
Unsere geplante Route führt südlich herum nach Lanzhou. Zwar ist diese 50 Kilometer länger, aber wir kommen endlich weg von der Autobahn und können so die Berge genießen. In den wenigen gemeinsamen Tagen auf der Schnellstraße hatten wir vier ca. 20 Plattfüße, von meinen 5 hatte ich an einem Tag gleich 3 am Stück, was kurz hintereinander zu ärgerlichen Pausen in der Hitze führte.
Das sollte von nun an aber vorbei sein. Innerhalb von 120 Kilometern fuhren wir von unseren anfänglichen 1500 Höhenmeter auf über 3600 Hm hinauf. Umgeben von herrlicher Bergkulisse, Yak-Herden und tibetischen Gebetsfahnen lies sich der nie endenwollende Anstieg leichter bewältigen als gedacht. Wir befanden uns nun für wenige Tage in der Provinz Qinghai, die damals zu Tibet gehörte. Die Höhe der Berge überraschte uns dennoch ein wenig, obwohl Tibet so nah erschien. Es war definitiv der härteste Tag seit langem und gleichzeitig mein Geburtstag. Zu der andauernden Steigung gesellte sich ein feiner Nieselregen, der die Temperaturen auf ca. 5°C fallen ließ. Bei der eisigen Abfahrt waren wir halb erfrohren und suchten in einem kleinen Restaurant Zuflucht, besetzten für die nächste Stunde den freien Tisch an der Heizung und trockneten unsere Klamotten während der heiße Tee uns von innen wärmte. Zwei weitere Pässe auf knapp 3800 Hm standen uns noch bevor, doch diese konnten wir nicht mehr an diesem Tag erledigen. Unser Nachtquartier wurde eine freie Wiesenstelle auf knapp 3400 Metern Höhe, zum Glück machten wir früh genug Feierabend, denn noch vor dem Dunkelwerden begann es zu schütten.
Am nächsten Morgen war es bitter kalt, mein Zelt und Fahrrad eingeschneit. Wir hatten knapp unter der Schneegrenze geschlafen, was sich später bei der Passbewältigung zeigte. Immer höher ging es hinauf und schon bald verschwanden wir in den Wolken. Nach ein paar Stunden erreichten wir endlich die extreme Höhe, hielten einen Moment inne und freuten uns auf die Abfahrt, denn hinter dem Pass schien die Sonne. Je tiefer wir fuhren, desto wärmer wurde es. Nach einer Stunde war das Thermometer von 0°C auf 15°C gestiegen, es machte wieder Spaß in der Sonne zu radeln, nachmittags erreichten wir sogar die 30°C. Ich verstand die zwei harten Tage als Lektion des Hochgebirges, dass es zu jeder Zeit Wetterumbrüche geben kann, da man sich in „lebensfeindlichen“ und extremen Bereichen bewegt, die niemals unterschätzt werden sollten.
Auf der anderen Seite der Berge werden wir mit einem tollen See-Schlafplatz belohnt, der Vorfreude auf die nächsten Tage macht. Doch die anstehende Durchfahrt der Millionenstadt Xining ist mühsam. Die Route wird ständig durch Riesen-Bauprojekte unterbrochen, einen Weg durch die Stadt zu finden ist echt schwierig. Auch die zweispurige Straße in die Stadt ist völlig überlastet. Dreck, Staub und schlechte Sicht zerreißen das positive Bild der letzten Tage. Die Menschenmassen werden zum Ungeheuer, wir wollen nur noch weg und Xining hinter uns lassen und endlich am Gelben Fluss ankommen. Wirklich beeindruckend ist die Ankunft aber nicht. Es ist ein schlammiger Fluss, der durch Lanzhou fließt, doch fast noch mehr Schlamm befindet sich nach einigen Regentagen auf der Baustellenstrecke nach Lanzhou hinein. Unsere Räder, Regensachen und Packtaschen sind vollkommen eingesaut, teilweise müssen wir durch riesige braune Pfützen fahren, sehen die Schlaglöcher nicht und müssen den Sturz mit unseren Beinen abfangen, die knietief im Wasser stehen. Es ist anstrengend und regnerisch, aber als wir im Hostel ankommen, entspannt sich die Lage wieder. In einem abgetrennten Kreativpark bekommt man kaum etwas vom städtischen Lärm außerhalb des Geländes mit und kann die Atmosphäre genießen. Nach zwei Nächten bessert sich das Wetter weiterhin nicht, es regnet noch am Morgen und so bleiben wir noch eine Nacht. Im Hostel treffe ich zwei Österreicherinnen, die mir berichten, dass auf meiner geplanten Strecke nach Süden Schnee läge. Es ist wohl gerade eine Schlechtwetterlage, die mich erneut zum Umplanen zwingt. Mein neues Ziel ist Tianshui, das etwas weiter südöstlich liegt, um dann nach Süden in Richtung Chengdu abzubiegen. So kann ich noch weitere 5 Tage mit Siegfried und Heiner unterwegs sein.
Am darauffolgenden Tag scheint endlich wieder die Sonne, es hatte sich bewährt einen Tag länger in Lanzhou zu bleiben, da nun die teils immernoch schlechten Straßen angetrocknet waren und eine weitere Schlammpartie vorerst vertagt wurde. Die Provinzhauptstadt war eine wichtige strategische Siedlung, da nur über die schmale Stelle im Tal, den sogenannten Hexi-Korridor einfallende Truppen nach China gelangen konnten und somit immer durch Lanzhou mussten. Für uns bedeutete die Stadt ein zweites Mal nach Xining mit der Umwälzung und dem Bauboom Chinas in Kontakt zu kommen, was stressig und anstrengend war, da nichts so lief, wie man es plante. Viel zu schnell ändern sich Details, das eine mal ist die Karte falsch, das andere mal die Beschriftung der Straßenschilder – man weiß eigentlich nie, worauf man sich verlassen kann, denn die Aussagen der Chinesen treffen meist auch nicht zu, insofern sie überhaupt die Muße haben sich mit uns zu „unterhalten“. Meist schreiben sie undefinierbare chinesische Zeichen auf ein Blatt Papier, wenn wir sie nicht verstehen. Das wir davon noch weniger Ahnung haben, daran scheint hier niemand zu denken.
Wir sind froh als wir die kilometerlange Kessellagen-Stadt verlassen und wieder Natur erblicken. Entlang des Tals werden ganze Stadtteile mit gigantischen Hochhaus-Komplexen aufgebaut, die zwar noch nicht bewohnt sind, aber schon einen ersten Eindruck geben, wie sich die Lage in diesen Städten weiter verschärfen muss. Gerade attraktive Kleinstädte dürften wohl ihre Bevölkerungszahl mehr als verdoppeln, wenn in jede dieser Wohnungen weitere Chinesen ziehen. Das muss wohl ein Produkt der Umsiedlungsaktion sein, welches ganze Dörfer und Kleinstädte „modernisiert“ bzw. überrollt. Das traditionelle Leben, die bekannte Bauweise der Hütten und Häuser wird ersetzt durch zeitgemäße Beton-Hochburgen, es zählt nur eins: möglichst viele Chinesen auf dem wenigen kostbaren Raum unterzubringen. Da werden auch mal schnell ganze Neubauviertel, die erst vor wenigen Jahren errichtet wurden, abgerissen und durch 30-Stöcker ersetzt. Feines Ein-Haus-Ambiente, Nachbarschafts-Idylle und einen Garten ist in China auch auf den zweiten Blick nicht zu finden.
Die freien Stellen werden für die Landwirtschaft genutzt. Selbst die Berge sind stark kultiviert und wir sehen erste Terrassenberge zum Maisanbau. Im Nachhinein war die Gegend um Tianshui das schönste Gebiet meiner Chinareise, da sowohl das Fahrradfahren nicht zu anstrengend und die Landschaft unverhofft schön waren. Durch die Maisterrassen und dem Zebra-Look der Berge ergibt sich ein völlig neues Landschaftbild, das ich noch nie zuvor erlebte. Anfänglich ist es zwar morgens noch regnerisch und kalt, doch am Mittag blaut der Himmel auf und die Sonne kommt zum Vorschein.
An einem Tag fahren wir wie gewohnt in ein kleines Dorf, um Nudelsuppe zu frühstücken. Wir genießen die Ruhe und bestellen, als sich in kurzer Zeit vor dem Laden immer mehr Menschen besonders Schüler versammeln. Ausländer waren wohl noch nie zu Gast und so sind wir eine große Attraktion, richtige Superstars. Man beäugt uns ganz genau, schaut wie wir mit den Stäbchen zurecht kommen und ständig blitzt ein Licht aus einem anderen Smartphone auf. An diesem Morgen werden wohl ganze SD-Karten vollgeschrieben bis wir nach über einer halben Stunde heraus treten, um weiter zu fahren. Die Menschentraube öffnet sich, man macht uns Platz. Wir werden mit Äpfeln aus der Region beschenkt, stehen noch für kurze Gruppenfotos zur Verfügung bevor wir uns wieder auf den langen Weg in Richtung Xian machen. Wir fühlen uns gut, wie einfach es doch ist, diesen Menschen nur durch unsere Anwesenheit ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Natürlich denken wir darüber nach wie wir uns verhalten haben, denn so wie die Menschen in diesem Dorf uns wahrgenommen haben, so werden sie wahrscheinlich in Zukunft über Deutschland denken. Mit Ärger, Arroganz zu reagieren oder die Fassung zu verlieren, wenn man dich betatscht oder auffällig anstarrt, würde hier bestimmt mehr Schaden anrichten als irgendwo anders in China. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen hier unvoreingenommen sind und so wie wir uns geben, so sehen sie Deutschland.
Nach eingigen Tagen sind wir dann schließlich kurz vor Tianshui. Unterwegs werden wir auf die Buddha-Grotten bei Mahji Shan aufmerksam gemacht und voller Erwartung und Neugier wollen wir diesen Umweg noch gemeinsam gehen. Anders als gedacht, liegt diese Sehenswürdigkeit aber in Richtung Xian und nicht direkt nach Süden, so dass ich wieder umplane und ab Baoji zwei Tage später nach Süden abzweigen will. Ein Fahrrad-Chinese will uns unbedingt helfen und genau den Weg erläutern, zupft die ganze Zeit an meinem Ärmel und schreit mich an, während er die Richtung erklärt. Er muss halb taub sein, oder wieso schreien die Chinesen so? Die Antwort kommt wenig später. Überall und ständig wird gehupt, in der Ferne ist erneut ein Feuerwerk aus Tianshui zu hören. Die Chinesen mögen einfach Krach.
Endlich bei den Grotten angekommen, zeige ich wieder meinen Versicherten-Ausweis vor und bekomme 50% Rabatt. Zum Glück, denn der riesige Felsen mit seinen halb verfallenen, in den Berg gehauenen Figuren enttäuscht eher, als das er Freude bringt. Nur der Ausblick von dort oben lohnt ein wenig. Die größte Attraktion erleben wir erst als wir in einem benachbarten Dorf zu Mittag Essen. Uns wird ein Drama in drei Akten geboten, die schauspielerische Leistung der zwei weiblichen Protagonisten überzeugt. Was ist vorgefallen?
In einem friedlich und idyllisch gelegenem Dorf mit nettem Restaurant kehren wir ein. Auf der anderen Straßenseite ist plötzlich ein Geschrei wahrzunehmen, der diese angenehme Ruhe unterbricht. Zwei Frauen stehen vor einem der Dorfhäuser und sind kurz davor sich zu prügeln. Eine der beiden ist schon älter, die andere recht jung. Vielleicht geht es um gestohlene Eier, verbotene Liebe oder ein ganz anderes Thema aus dem echten Leben. Sie fauchen und kratzen, es dauert eine ganze Weile bis endlich ein paar Männer dazwischen gehen. Auf welcher Seite sie stehen, ist nicht auszumachen, eine Prügelei unter diesen wird gerade noch durch einen neutralen Schlichter verhindert. Man zieht die ältere Frau beiseite, sie will aber noch nicht gehen und aufgeben und simuliert einen Schwächeanfall und bricht auf dem Grundstück zusammen. Pech gehabt, Gesicht verloren – schwer müssen es die Menschen in Asien haben. Die Zusammengebrochene jammert am Boden kriechend den anderen etwas vor, diese versuchen sie zu stützen. Sie wälzt sich aber lieber noch im Dreck und bricht erneut zusammen.
Bis hierher 1A Geschichte aus dem täglichen Leben, doch langsam wirds langweilig. Unser Essen ist zubereitet und serviert, die Restaurantbesitzer lassen es sich nicht nehmen auch noch zum Ort des Geschehens zu gehen während ein Auto vor unserem Sichtfeld parkt – nun ist Essenszeit. 20 Minuten später bezahlen wir und verlassen das Restaurant, die ältere Frau liegt immer noch am Boden, nichts hat sich verändert – super freeze frame, super Standbild! Wohl noch nicht das Ende des Theaters, doch wir wollen weiter und lassen das Dorf hinter uns. Zum ruhigen Essen kommt man wohl auch im idyllischen Dorfambiente nicht.
Nach den vielen vergossenen Tränen im Dorf beginnt es nun wieder zu regnen. Wir finden Schutz in einem stillgelegten taoistischen Tempel und können wenigstens die Nacht ungestört und trocken verbringen. Es ist ein toller Ort, ziemlich hoch in den Bergen gelegen mit herrlichem Ausblick. Doch dieser wird durch die tiefliegenden Regenwolken etwas verdeckt, die auch am nächsten Morgen nicht verschwinden wollen. Bei kühlen Temperaturen starten wir und finden bald Einkehr bei einem kleinen privat geführten Restaurant. Der Besitzer kümmert sich gut um uns und bringt gebratenes Ei, Tomaten und Fleisch. Die Rechnung am Ende ist mit knapp 200 unglaublichen Yuan deutlich überteuert, nach kurzen Verhandlungen bezahlen wir 80¥. Das hätte doch nicht sein müssen. Aber vielleicht ist das hier so Brauch, in Zukunft wieder vorher nach dem Preis fragen, dann kommt man erst gar nicht in solche Situationen.
Unsere Straße endet bald im Nichts. Wir weichen deshalb auf die Autobahn aus und wollen die 50 Kilometer zu unserer eigentlichen Fernstraße überbrücken ohne endlos im Gebirge herumzuirren. Doch wegen der vielen Tunnel, die die Berge und Täler verbinden, wird die Polizei auf uns aufmerksam und holt uns bei der nächsten Ausfahrt von der Autobahn. Anders als in Xinjiang ist es hier wohl nicht mehr toleriert diese Straßen zu benutzen. Schade eigentlich, denn wir werden bei schlechtem Wetter im Nirgendwo alleine gelassen. Willkommen in der Wildnis – into the wild. Das, was wir in den nächsten zweieinhalb Tagen erleben, ist das wirkliche China-Bergleben. Die Menschen sind arm, kennen keine Fremden. Die Wege sind nicht ausgebaut, eher Schlamm- und Erdpisten, die die einzelnen abgeschiedenen Täler miteinander verbinden. Wir sind fern jeglicher Zivilisation, fern von Restaurants und Shop-Möglichkeiten. Wir befinden uns im Abseits, von der Polizei ins Aus katapultiert. Doch alles Jammern nützt nichts, wir müssen weiter und einen Weg ohne Navigation aus diesem Bergjungle finden. Es geht auf und ab, entlang von Flüssen zu deren Quelle über den Bergkamm ins nächste Tal. Das wiederholt sich einige Male und das Wetter spielt immer noch nicht mit.
Erst am dritten Tag kommt wieder Hoffnung auf, wir entscheiden uns für den richtigen Weg. Durchnässt und verdreckt erreichen wir wieder Asphalt und können unsere Position orten. Ganz schön weit weg vom geplanten Weg taucht unser Standort auf dem Navigationsgerät auf. Wir essen erstmal etwas, ziehen uns trockene Klamotten an und sind froh wieder bei den Menschen angekommen zu sein.
Nach einer 1200-Meter-Abfahrt erreichen wir schließlich Baoji, nur noch 200 Kilometer von Xian entfernt, entscheide ich mich erneut meine Pläne über den Haufen zu werfen. Das gemeinsame Fahren mit Siegfried und Heiner macht Spaß und die Terrakotta-Armee liegt nahezu in greifbarer Nähe. Da gibt es keine Ausreden mehr, jetzt heißt es Tonkrieger anschauen und erneut in eine Provinzhauptstadt mit über 8 Millionen Menschen zu fahren. Willkommen in Shaanxi! Die Nacht zuvor hatten wir noch mitten in Baoji in einem Abrissviertel geschlafen, nun durfte es mal wieder eine richtige Unterkunft sein. Die Einfahrt war sehr einfach, da Xian genügend Platz zur Entfaltung hat und sich nicht wie andere Städte in irgendwelche Täler zwingen muss. Nahezu nur geradeaus geht unsere Straße bis wir das Zentrum und die historische Stadtmauer erreichen. Wir verbringen insgesamt 5 Nächte in Xian, da wir auf die Visumsverlängerung von Siegfried und Heiner warten. Genügend Zeit also, um die Tonkrieger-Armee zu besichtigen, die Haare zu schneiden, Fotos zu sichern, Blogeinträge zu schreiben, die Stadt zu besichtigen und das schlechte Wetter auszusitzen.